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Untitled

Titel: Untitled Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown Author
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an Brock nichts auszusetzen. Brock hatte ihn nicht erfunden, hatte ihn nicht verführt, bestochen oder erpreßt. Brock hatte gegen Olivers Seele keine Sünde begangen, die nicht schon vor langer Zeit begangen worden wäre. Nicht Brock, sondern Oliver hatte an der Lampe gerieben, und Brock war auf Olivers Geheiß daraus hervorgekommen:
    Es ist Winter, und Oliver ist ziemlich wütend. Immerhin soviel weiß er selbst, aber nicht mehr. Die Ursprünge seiner Wut, ihre Ursachen, ihre Dauer und ihr Ausmaß kann er nicht beurteilen, noch nicht. Sie sind da draußen, aber für eine andere Zeit bestimmt, für ein anderes Leben, für die Zeit nach zwei weiteren Brandys. Die neonhelle Düsternis eines Dezemberabends am Flughafen Heathrow erinnert ihn an einen Umkleideraum in einem seiner vielen Internate. Grellbunte Rentiere aus Pappe und Weihnachtslieder vom Band steigern noch sein Gefühl von Unwirklichkeit. Verschneite Spruchbänder baumeln an einer Wäscheleine und wünschen ihm Friede und Freude auf Erden. Etwas Erstaunliches wird ihm widerfahren, und er will unbedingt wissen, was das sein soll. Er ist nicht betrunken, aber nüchtern ist er genaugenommen auch nicht mehr. Ein paar Wodka auf dem Flug, ein Glas Roten zum Gummihuhn, danach ein oder zwei Rémy haben in Olivers Augen nicht viel mehr bewirkt, als ihn bei dem Tumult, der ohnehin schon in ihm tobte, erst recht in Fahrt zu bringen. Er hat nur Handgepäck und nichts zu verzollen außer einer rücksichtslosen inneren Unruhe, einem Feuersturm von Empörung und Zorn, der schon vor so langer Zeit begonnen hat, daß die Ursprünge überhaupt nicht mehr zu bestimmen sind, und der ihm durch den Kopf braust wie ein Hurrikan, während die Teilnehmer der in ihm stattfindenden Versammlung in zaghaften Zweier- und Dreiergruppen herumstehen und einander fragen, was um alles in der Welt Oliver unternehmen wird, um diesen Feuersturm zu löschen. Er nähert sich verschiedenfarbigen Zeichen, und statt daß sie ihm Frieden und Freude auf Erden und guten Willen unter den Menschen wünschen, verlangen sie von ihm, sich selbst zu definieren. Ist er ein Fremder im eigenen Land? Antwort: Ja. Ist er von einem anderen Planeten hierhergekommen? Antwort: Ja. Ist er blau? Rot? Grün? Sein Blick schweift zu einem tomatenroten Telefon. Das kommt ihm vertraut vor. Vielleicht hat er es beim Abflug vor drei Tagen bemerkt und es, ohne sich dessen bewußt zu sein, als heimlichen Verbündeten rekrutiert. Ist es echt, ist es heiß, funktioniert es? Auf einem Schild daneben steht: »Wenn Sie mit einem Zollbeamten sprechen möchten, benutzen Sie dieses Telefon.« Er benutzt es. Soll heißen, sein Arm greift ungebeten danach, seine Hand packt es und führt es ans Ohr, läßt ihm nur noch die Verantwortung für das, was er sagen soll. Das Telefon ist von einer Frau bewohnt, und eine Frau hat er nicht erwartet. Er hört sie mindestens daß er denkt, sie kann ihn sehen, auch wenn er sie nicht sieht. Ist sie schön, jung, alt, streng? Egal. Mit der ihm angeborenen Höflichkeit erwidert er, sie könne ihm, ja, sie könne ihm vielleicht tatsächlich helfen, er würde gern privat, in einer vertraulichen Angelegenheit, mit einem Zuständigen sprechen. Als er seine Stimme in der Ohrmuschel vernimmt, staunt er, wie gefaßt er spricht. Ich habe mich unter Kontrolle, denkt er. Und da sein irdisches Ich nun vollständig von allem losgelöst ist, weiß er sich kaum zu fassen vor Dankbarkeit, daß eine so fähige Person sich um ihn kümmert. Dein Problem ist, daß du, wenn du nicht jetzt handelst, es niemals tun wirst, erklärt ihm die selbstsichere Stimme seines irdischen Ichs. Du wirst untergehen, du wirst ertrinken, es heißt, jetzt oder nie, man möchte ja nicht dramatisch werden, aber einmal ist es dann soweit. Und vielleicht erzählt sein irdisches Ich dem roten Telefon tatsächlich etwas von seinem Leben, denn er spürt, daß die Unbekannte auf einmal förmlich wird und ihre Worte mit aller Sorgfalt wählt. »Bleiben Sie genau da, wo Sie jetzt sind. Neben dem Telefon, bitte, Sir. Gehen Sie nicht weg. Es kommt sofort ein Beamter zu Ihnen.«
    Und hier überfällt Oliver eine völlig nebensächliche Erinnerung an eine Warschauer Telefonbar, wo man Mädchen an anderen Tischen anrufen konnte und auch die Mädchen einen anrufen konnten - und wo er schließlich einer baumlangen Lehrerin namens Alicja ein Bier spendiert hatte, die ihn darauf hinwies, daß sie niemals mit Deutschen ins Bett gehen würde. Heute abend jedoch

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