Untitled
erwischt er eine kleine sportlich wirkende Frau mit Jungenfrisur; sie trägt eine weiße Bluse mit Epauletten. Ist das dieselbe raffinierte Frau, die ihn schon »Sir« genannt hatte, bevor er etwas gesagt hatte? Er kann es nicht wissen, er weiß nur, daß seine Körpergröße sie erschreckt und sie sich fragt, ob sie es mit einem Spinner zu tun hat. Sie weicht vor ihm zurück und betrachtet seinen teuren Anzug, die edle Aktentasche, die goldenen Manschettenknöpfe, die maßgefertigten Schuhe, das rotglühende Gesicht. Sie wagt sich einen Schritt näher, sieht mit vorgerecktem Kinn zu ihm empor, fragt ihn nach seinem Namen und von wo er jetzt gekommen ist und unterzieht seine Antworten im Geiste einem Alkoholtest. Sie bittet um seinen Paß. Er klopft seine Taschen ab, kann ihn wie üblich nicht finden, entdeckt ihn, fischt ihn heraus, zerknickt ihn fast vor Eifer und reicht ihn ihr.
»Es muß aber ein hochrangiger Beamter sein«, ermahnt er sie, aber sie ist zu sehr damit beschäftigt, darin herumzublättern. »Ist das Ihr einziger Paß?«
Ja, allerdings, antwortet sein irdisches Ich hochtrabend. Und hätte beinahe hinzugefügt: »gute Frau«.
»Sie besitzen also keine doppelte Staatsangehörigkeit oder
dergleichen?«
Nein, besitze ich nicht.
»Mit diesem Paß reisen Sie also?« Sie blättert um. Ja.
»Nach Georgien, nach Rußland?« Ja.
»Und von daher kommen Sie jetzt gerade? Aus Tiflis?« Nein. Aus Istanbul.
»Und worüber wollten Sie reden? Über Istanbul? Oder Georgien?«
Ich möchte mit einem hochrangigen Beamten sprechen, wiederholt Oliver. Sie durchqueren einen Korridor, in dem Scharen von verängstigten Asiaten auf Koffern hocken. Sie treten in einen fensterlosen Vernehmungsraum, der Tisch ist am Boden und ein Spiegel an der Wand festgeschraubt. In seiner selbstverursachten Trance setzt sich Oliver unaufgefordert an den Tisch und sieht sich verwundert im Spiegel an.
»Ich lasse also jemanden für Sie kommen, ja?« sagt sie streng. »Ihren Paß behalte ich vorerst ein, Sie bekommen ihn dann nachher wieder zurück, ja? Es kommt so bald wie möglich jemand. Ja?«
Ja. Alles bestens. Eine halbe Stunde vergeht, die Tür schwingt
Admirals erscheint ein schmächtiger blonder junge in weißem Hemd und Uniformhosen und bringt eine Tasse süßen Tee und zwei zuckrige Kekse.
»Entschuldigen Sie, Sir. Das muß an der Jahreszeit liegen. Alle Welt geht über Weihnachten auf Reisen. Ein zuständiger Beamter ist bereits auf dem Weg zu Ihnen. Sie haben nach einem höheren Beamten verlangt, soviel ich weiß.«
Ja. Der Junge bleibt hinter Oliver stehen und beobachtet ihn beim Teetrinken.
»Geht doch nichts über ein schönes Täßchen Tee, wenn wir wieder in die Heimat kommen, stimmt´s, Sir?« sagt er zu Olivers Bild im Spiegel. »Darf ich fragen, wo Sie wohnen, Sir?« Oliver nennt ihm seine piekfeine Adresse in Chelsea, und der Junge schreibt sie in sein Notizbuch.
»Und wie lange sind Sie in Istanbul gewesen?« Ein paar Nächte.
»Und die Zeit hat gereicht für das, was Sie dort zu tun hatten?«
Und ob.
»Privat oder geschäftlich?«
Geschäftlich.
»Früher schon mal dagewesen?« Ein paarmal.
»Besuchen Sie immer dieselben Leute, wenn Sie nach Istanbul
kommen?«
So ziemlich.
»Sie reisen viel in Ihrem Beruf?«
Manchmal zuviel.
»Anstrengend, oder?«
Manchmal. Kommt drauf an. Olivers irdisches Ich beginnt sich zu langweilen, und er macht sich Sorgen. Falsche Zeit, falscher Ort, denkt er. Gute Idee, aber ein bißchen verrückt. Verlang den Paß zurück, nimm ein Taxi, fahr nach Hause, trink dir einen, beiß in den sauren Apfel und leb weiter.
»Und was machen Sie beruflich?«
Investitionen, sagt Oliver. Anlagenverwaltung. Portefeuilles. Hauptsächlich in der Freizeitbranche.
»Wohin reisen Sie sonst noch? Außer nach Instabul?« Moskau. Petersburg. Georgien. Überallhin, wo ich Geschäfte machen kann.
»Wartet jemand in Chelsea auf Sie? Jemand, den Sie anrufen möchten? - zur Beruhigung - daß alles in Ordnung ist?« Eigentlich nicht.
»Wir wollen doch nicht, daß sich jemand Ihretwegen Sorgen macht?«
Meine Güte, nein - fröhliches Lachen.
»Also, gibt es da jemand - eine Frau? - Kinder?«
O nein, nein, Gott sei Dank. Jedenfalls noch nicht.
»Eine Freundin?«
Gelegentlich.
»Das sind die besten, stimmt´s? Die Gelegentlichen.«
Das will ich meinen.
»Machen weniger Ärger.«
Viel weniger. Der Junge geht, Oliver sitzt wieder alleine da, aber nicht sehr lange. Die Tür schwingt auf, Brock kommt mit
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