Untitled
nicht. Das tun die Orlows. Und wenn ein Haufen Verbrecher plötzlich anfängt, sich gegenseitig fertigzumachen und die jeweiligen Transporte nach Liverpool zu verraten, kann ich ihnen nur Beifäll klatschen. Ich liebe Ihren Vater nicht, Oliver. Das überlasse ich Ihnen. Ich bin ich. Ich bin immer noch der alte. Und Tiger auch. « »Wo ist er jetzt?«
Brock lachte verächtlich. »Im Schockzustand, wo sonst? Untröstlich, heult wie ein Schloßhund. Können Sie alles in den Pressemitteilungen nachlesen. Alfie Winser war sein langjähriger Freund und Waffengefährte, wie Sie mit Freuden vernehmen werden. Die beiden sind denselben steinigen Weg gegangen und haben denselben Idealen nachgeeifert. Amen.« jetzt nicht mehr sarkastisch. »Von unseren Bildschirmen verschwunden. Nirgendwo ein Lebenszeichen von ihm, und wir halten rund um die Uhr mit Augen und Ohren Ausschau nach ihm. Eine halbe Stunde nach Eintreffen der Nachricht von Winsers Tod hat er das Büro verlassen, ist bei seiner Wohnung vorbeigefahren, wieder rausgekommen und seither spurlos verschwunden. Heute ist der sechste Tag, kein Telefonat, kein Fax, keine E-mail, keine Postkarte. So etwas hat es in Tigers Leben noch nie gegeben. Ein Tag ohne Anruf von ihm, und schon wird der nationale Notstand ausgerufen. Und sechs Tage, das ist der Weltuntergang. Unsere Leute halten mit allen Mitteln den Topf am Kochen, rufen unauffällig bei Tigers Stammlokalen und irgendwelchen anderen Leuten an, bei denen er untergetaucht sein könnte, und geben sich die allergrößte Mühe, die Sache unter der Decke zu halten.« »Wo ist Massingham?« - Massingham war Tigers Stabschef. Brock verzog keine Miene, seine Stimme schwankte nicht. Sein Tonfall blieb unverändert mißbilligend und geringschätzig. »Schadensbegrenzung. Um die Welt reisen. Kunden beschwichtigen.« »Alles wegen Winser?«
Brock hörte darüber hinweg. »Massingham ruft gelegentlich an, meist um zu fragen, ob irgend jemand was gehört hat. Davon abgesehen, sagt er nicht allzuviel. Jedenfalls nicht am Telefon. Schließlich ist er Massingham. Schließlich ist er einer von ihnen, wenn ich´s mir recht überlege.« Sie dachten gemeinsam schweigend nach, bis Brock die Befürchtung aussprach, die schon von Oliver Besitz ergriffen hatte. »Tiger könnte natürlich tot sein, das wäre eine schöne Sache - für die Gesellschaft, für Sie wohl weniger -«, sagte er, um Oliver aus seiner Träumerei zu reißen. Aber der ließ sich nicht wecken.
»Ein ehrenhafter Abgang wäre bei Tiger wirklich mal was Neues, das muß ich schon sagen. Nur glaube ich nicht, daß er überhaupt die Tür finden würde.« Nichts. »Dazu kommt, daß er plötzlich von seiner Schweizer Bank fünf Millionen Pfund auf Carmens Treuhandkonto überweisen läßt. So was tun Tote eher selten, hab ich mir sagen lassen.« »Und dreißig.«
»Wie bitte? Ich bin in letzter Zeit etwas schwerhörig, Oliver.« »Fünf Millionen und dreißig«, korrigierte Oliver ihn lauter und wütender. In welcher Hölle bist du denn jetzt gelandet? wollte Brock ihn fragen, während Oliver weiter vor sich hin starrte. Und wenn ich es schaffe, dich aus dieser rauszuholen, in welche Hölle stolperst du als nächstes? »Er hat ihnen Blumen geschickt«, erklärte Oliver.
»Wem? Wovon reden Sie eigentlich?«
»Tiger hat Carmen und Heather Blumen geschickt. Vorige Woche, per Chauffeur mit einem Mercedes aus London. Er weiß, wo sie wohnen und wer sie sind. Er hat den Auftrag von irgendwo telefonisch durchgegeben, hat eine komische Karte diktiert und mit ›ein Bewunderer‹ unterschreiben lassen. Bei einem dieser schicken Blumengeschäfte im West End.« Er tastete an seiner Jacke herum, klopfte auf die Taschen, fand den Zettel schließlich und reichte ihn Brock. »Hier. Marshall & Bernsteen. Dreißig bescheuerte Rosen. Rosa. Fünf Millionen und dreißig Pfund. Dreißig Silberlinge. Damit bedankt er sich dafür, daß man ihn verraten hat. Damit sagt er, er weiß, wo er Carmen jederzeit finden kann. Damit sagt er, daß sie ihm gehört. Carmen. Damit sagt er, Oliver kann weglaufen, aber verstecken kann er sich nicht. Ich will, daß sie beschützt wird, Nat. Ich will, daß man mit Heather redet. Sie muß Bescheid wissen. Ich will nicht, daß sie besudelt werden. Ich will nicht, daß er Carmen jemals zu sehen bekommt.«
Wenn Brocks unerwartetes Schweigen Oliver auch regelmäßig zum Wahnsinn trieb, so war er doch auch wider Willen davon beeindruckt. Brock warnte einen nicht vor. Er sagte
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