Untitled
war Kommandant von Militärstützpunkt in Senaki. Wir hatten ein Haus in Armeesiedlung außerhalb von Senaki. Dieses Haus war sehr gutes Haus. Mein Vater war guter Mann. Alle Mingrelier haben meinen Vater geliebt. Mein Vater war glücklich hier.‹« Jewgenij hebt die Stimme und schwenkt den Arm über die Küstenlinie. »›Ich war in Batumi auf Schule. Ich war in Batumi auf Marineschule. Meine Frau ist in Batumi geboren.‹ Wollen Sie noch mehr von diesem Scheiß hören?« »Ja, bitte.«
»›Vor Leningrad habe ich an Universität Odessa studiert. Schiffahrt, Schiffbau, Seewesen. Mein Geist ist über den Wassern des Schwarzen Meers. Ist in den Bergen von Mingrelien. In diesem Land werde ich sterben.‹ Soll ich meine Tür offen lassen, damit Sie meine Frau vögeln können?« »Nein.«
Wieder ein Halt. Michail und Jewgenij steigen aus dem Wagen und überqueren zielbewußt die Straße. Oliver folgt ihnen spontan. Hagere Männer, die mit Orangen und Kohl beladene Esel führen, bleiben am Straßenrand stehen und beobachten sie. Zerlumpte Zigeunerkinder lehnen auf Stöcken und reißen die Augen auf, als die Brüder mit Oliver im Gefolge zwischen ihnen hindurchgehen und eine schmale, von Unkraut überwucherte schwarze Treppe hinaufsteigen. Die Brüder sind zu einer schwarz gepflasterten Grotte gelangt. Die Treppe ist aus Marmor. Ebenfalls aus schwarzem Marmor ist das Geländer. In einer Wandnische steht die Statue eines verwundeten und bandagierten Offiziers der Roten Armee, der seine Truppen mit heroischer Gebärde in die Schlacht schickt. In einer beschlagenen Glasvitrine, die in den Fels eingelassen ist, liegt ein stockfleckiges, ausgeblichenes Foto von einem jungen russischen Soldaten mit spitzem Käppi. Michail und Jewgenij stehen Schulter an Schulter davor, die Köpfe gesenkt, die Hände zum Gebet gefaltet. Nicht ganz synchron treten sie einen Schritt zurück und bekreuzigen sich mehrmals. »Unser Vater«, erklärt Jewgenij schroff.
Sie steigen wieder in den Zil. Michail nimmt eine Haarnadelkurve, und vor ihnen taucht ein militärischer Kontrollpunkt auf. Ohne anzuhalten, kurbelt er das Fenster runter und schlägt sich mit der rechten Hand auf die linke Schulter, was seinen hohen Rang andeuten soll, doch lassen sich die Wachposten nicht davon beeindrucken. Fluchend hält Michail an, und Temur, der Verbindungsmann, springt aus dem Wagen hinter ihnen und begrüßt einen der Männer mit Kuß und Umarmung. Der Konvoi darf seine Fahrt fortsetzen. Sie erreichen die Paßhöhe. Vor ihnen tut sich eine fruchtbare Landschaft auf.
»Er sagt, von hier aus wir brauchen noch eine Stunde«, übersetzt Hoban. »Zu Pferde, sagt er, dauert es zwei Tage. Genau da gehört er hin. Ins Scheiß-Pferdezeitalter.« Ein Flugfeld im Tal, Wachposten, ein Hubschrauber mit laufenden Rotoren, eine Bergwand. Jewgenij, Hoban, Tinatin, Michail und Oliver fliegen im ersten Hubschrauber mit einem Kasten Wodka und dem Gemälde einer melancholischen alten Frau in weißem Spitzenkragen, das sie schon seit Moskau begleitet hat und von dessen Rahmen der Gips bröckelt. Der Hubschrauber steigt vor einem Wasserfall in die Höhe, folgt einem Ponypfad, bezwingt die Bergwand und taucht zwischen weißen Gipfeln in ein grünes Tal hinab, das die Form eines Kreuzes hat. In jedem Kreuzbalken liegt ein winziges Dorf, im Scheunen, weidendem Vieh und Wäldern ein aus Stein gebautes Kloster. Die Gesellschaft steigt schwerfällig aus, Oliver als letzter. Kinder und die Leute aus dem Gebirge kommen auf sie zu, und Oliver bemerkt amüsiert, daß die Kinder tatsächlich braune Haare haben. Der Hubschrauber hebt ab und verschwindet im Lärm der Motoren hinter dem Bergkamm. Oliver riecht Kiefern und Honig, er hört Gras rascheln und Bäche plätschern. An einem Baum hängt ein enthäutetes Schaf. Aus einer Grube steigt Holzrauch auf. Prächtige handgewebte Teppiche in Rosa und Dunkelrot liegen im Gras. Auf einem Tisch sind Trinkhörner und Kürbisflaschen mit Wein aufgebaut. Die Dörfler drängen herbei. Jewgenij und Tinatin begrüßen sie mit Umarmungen. Hoban sitzt auf einem Felsen, er hat das Telefon am Ohr und den schwarzen Kasten zu seinen Füßen und begrüßt niemanden. Der Hubschrauber kommt mit Zoya und Paul und zwei weiteren Töchtern und deren Männern zurück und verschwindet wieder. Michail und ein bärtiger Riese schreiten, bewaffnet mit Jagdgewehren, in den Wald hinein. Oliver gelangt mit den anderen zu einem flachen bäuerlichen Holzhaus, das am Hang in
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