Untitled
und eine kleinere im Stiefelschaft. Die BMW, die Kinder und die Töchter sind verschwunden - alle bis auf Zoya und ihren kleinen Sohn Paul. Hobans Wege sind rätselhaft. Er ist in Wien. Er ist in Odessa. Er ist in Liverpool. Eines Nachmittags kehrt er unangemeldet zurück und geht mit Jewgenij auf die Straße, wo man die beiden dann auf dem Schotter eines unfertigen Bürgersteigs auf und ab gehen sieht, die Jacketts locker über der er einmal war, und der kleine Paul trottet hinter ihnen her wie ein Totenkläger. Zoya ist eine Frau, die warten kann, und sie wartet auf Oliver. Sie wartet mit den Augen und mit ihrem müden, üppigen Körper, während sie spöttische Bemerkungen über das neue supermaterialistische Rußland macht, Einzelheiten der jüngsten Fälle von Massenraub an Staatseigentum aufzählt und die Namen von Leuten nennt, die über Nacht Milliardäre geworden sind; und immer, wenn sie irgend etwas nicht tun will, beklagt sie sich über den lodos, einen türkischen Südwind, von dem sie angeblich Kopfschmerzen bekommt. Gelegentlich bekommt sie dann von Tinatin den Rat, sie solle sich beschäftigen, sich um Paul kümmern oder einen Spaziergang machen. Sie gehorcht, kommt wieder zurück, wartet weiter und stöhnt über den lodos. »Ich werde noch mal eine Natascha«, erklärt sie einmal in ein Schweigen hinein, das sie für sich geschaffen hat.
»Was ist eine Natascha?« fragt Oliver Tinatin.
»Eine russische Prostituierte«, antwortet Tinatin mißmutig. »Natascha ist der Name, den die Türken unseren Huren gegeben haben.«
»Tiger behauptet, wir sind wieder im Geschäft«, sagt Oliver zu Jewgenij, als Zoya einmal zu ihrem wöchentlichen Besuch bei einer russischen Wahrsagerin in die Stadt gegangen ist. Die Bemerkung legt sich Jewgenij schwer aufs Gemüt.
» Geschäft«, wiederholt er mit schleppender Stimme. »Ja, Briefträger. Wir sind im Geschäft.«
Oliver erinnert sich unbehaglich daran, wie Nina ihm einmal erklärt hat, daß dieses unschuldige Wort für Russen und Georgier das gleiche bedeutet wie Betrug.
»Warum geht Jewgenij nicht nach Georgien zurück und lebt dort?« fragt er Tinatin, die, von Zoya beobachtet, gebackene Auberginen mit einem würzigen Krabbenbrei füllt, einst war das Jewgenijs Lieblingsgericht.
»Jewgenij ist ein Mann der Vergangenheit, Oliver«, antwortet sie. »Diejenigen, die in Tiflis geblieben sind, wollen ihre Macht nicht mit einem alten Mann aus Moskau teilen, der keine Freunde mehr hat.« »Ich habe an Bethlehem gedacht.«
»Jewgenij hat Bethlehem zu viel versprochen. Wenn er dort nicht in einer goldenen Kutsche einfährt, wird er nicht willkommen sein.«
»Hoban wird ihm eine bauen«, prophezeit Zoya und legt, um die Wirkung des lodos zu dämpfen, eine Hand an die Stirn. Hoban, denkt Oliver. Nicht mehr Alix. Mein Mann Hoban. »Wir haben auch russischen Efeu hier«, sagt Zoya zu dem hohen Fenster. »Sehr leidenschaftlich. Wächst zu schnell, gelangt nirgendwo hin und stirbt ab. Die Blüten sind weiß. Der Geruch ist kaum wahrnehmbar.« »Ach«, sagt Oliver.
Er wohnt in einem großen Hotel, westlich und anonym. Es ist nach Mitternacht an seinem dritten Tag hier, als jemand an seine Tür klopft. Man hat mir eine Nutte geschickt, denkt er und erinnert sich an das allzu freundliche Lächeln der jungen Empfangsdame. Aber es ist Zoya, was ihn auch nicht sehr überrascht. Sie tritt ein, setzt sich aber nicht. Das Zimmer ist klein und zu hell. Sie stehen neben dem Bett, sehen sich unter der grellen Deckenlampe blinzelnd in die Augen.
»Machen Sie dieses Geschäft mit meinem Vater nicht«, sagt
sie.
»Warum?«
»Es ist gegen das Leben. Es ist schlimmer als Blut. Es ist
Sünde.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Ich kenne Hoban. Ich kenne Ihren Vater. Die beiden können nur besitzen, nicht lieben, nicht einmal ihre Kinder. Sie kennen die beiden auch, Oliver. Wenn wir ihnen nicht entrinnen, werden wir so tot sein wie sie. Jewgenij träumt nur vom Paradies. Wer ihm Geld verspricht, das Paradies zu kaufen, hat ihn in der Hand. Hoban verspricht es ihm.« Wer anfängt, ist Armen zusammen und müssen sich erst voneinander lösen, ehe sie einander umschlingen können, und auf dem Bett reißen sie sich die Kleider vom Leib und fallen dann wie Tiere übereinander her, bis sie beide genug haben. »Du mußt wieder zum Leben erwecken, was in dir abgestorben ist«, sagt sie streng, als sie sich wieder anzieht. »Schon sehr bald ist es für dich zu spät. Du kannst immer mit mir Liebe
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