Untot mit Biss
ein außerehelicher Sohn immer noch besser war als gar keiner, insbesondere wenn niemand vom wahren Vater wusste. Doch Ludwig wollte nichts davon wissen, und ihr Erstgeborener musste verschwinden.«
Etwas regte sich in mir, vielleicht Erinnerungen an halb vergessenen Geschichtsunterricht. Bevor sie deutlicher werden konnte, fuhr Mircea fort: »Schließlich bekam die Königin einen zweiten Sohn, von dem es hieß, er sei von ihrem Berater gezeugt worden, Kardinal Mazarin. Vielleicht wahrte sie diesmal das Geheimnis des wahren Vaters, oder vielleicht fürchtete der König, ohne einen Erben zu bleiben – der Junge bestieg den Thron als Ludwig XIV. Er freute sich nicht darüber, einen Halbbruder zu haben, der dem Herzog von Buckingham sehr ähnlich sah. Das mochte die Tugend seiner Mutter infrage stellen und einen Schatten des Zweifels auf seine eigene Abstammung und damit seinen Herrschaftsanspruch werfen.«
»Der Mann mit der eisernen Maske!«
Schließlich stellte ich die Verbindung her. »Als Kind habe ich das Buch gelesen. Aber die Ereignisse wurden anders geschildert.«
Mircea zuckte mit den Schultern. »Dumas schrieb Romane. Er konnte die Dinge so schildern, wie er wollte, und damals gab es viele Gerüchte zur Auswahl. Kurz gesagt, König Ludwig steckte Louis-Cesar für den Rest seines Lebens ins Gefängnis und zwang ihn zu Gehorsam, indem er ihm damit drohte, gegen seine Freunde vorzugehen. Um zu zeigen, wie ernst er es meinte, schickte er ihn auf eine Besichtigungstour durch Frankreichs berüchtigtes Haus des Schreckens, das wichtigste Schloss während der mittelalterlichen Hexenjagd: Carcassonne. König Ludwig ließ dort seine Gegner einsperren, doch eines Morgens im Jahr 1661 fand man alle Folterer und Wärter tot vor, woraufhin die größte Festung des Mittelalters aufgegeben wurde. Sie verfiel zu einer Ruine und wurde erst nach zweihundert Jahren instand gesetzt.«
»Aber hat Louis-Cesar nicht gesagt, dass er im Jahr 1661 hier war?« Ich sah mich nervös um. Das hatte mir gerade noch gefehlt: ein gemeingefährlicher Irrer oder ein Haufen Städter, die die Nase voll hatten und mit Heugabeln hereinstürmten, bereit dazu, alle zu massakrieren.
Mircea wirkte nicht sonderlich besorgt. »Ja, im Lauf der Jahre hat man ihn in verschiedenen Gefängnissen untergebracht. Bis kurz vor dem Tod seines Bruders blieb er in Haft, als auch die letzten seiner Freunde, die er vor Unheil bewahren wollte, aus dem Leben schieden. Daraufhin nahm er für immer die Samtmaske ab, die er getragen hatte, damit niemand seine starke Ähnlichkeit mit einem gewissen narzisstischen englischen Herzog bemerkte, der Porträts von sich in ganz Europa hinterlassen hatte. Er erzählte mir einmal, dass ihn die Wächter erst nach seiner Verwandlung zur eisernen Maske zwangen, und auch dann nur beim Transport von einem Gefängnis zum anderen.« Mircea lächelte. »Es war eine Vorsichtsmaßnahme, verstehst du. Sie sollte verhindern, dass er unterwegs über jemanden herfiel.«
Ich bedachte ihn mit einem finsteren Blick – dies war nicht der richtige Zeitpunkt für Humor – und warf ihm den Morgenmantel zu, den ich während meines vorherigen Besuchs getragen hatte. »Zieh dich an. Wir müssen weg von hier.«
Er fing den Morgenmantel auf. Der Umstand, dass er sich in einem fremden Körper befand, blieb ohne Einfluss auf seine Reflexe, aber das wusste ich bereits. »Glaub mir, Cassie: Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Sie werden zu uns kommen, und nachdem wir die Sibylle erledigt haben, retten wir meinen Bruder.«
Ich blinzelte und hoffte, dass ich mich verhört hatte. »Nachdem wir sie erledigt haben? Was soll das heißen? Sie wurde entführt, Mircea! Sie ist über diese ganze Angelegenheit vielleicht nicht glücklicher als ich.«
Er zuckte mit den Schultern, und seine Gleichgültigkeit ließ mich frösteln. »Sie hat unseren Feinden geholfen und ist indirekt verantwortlich für den Tod von mindestens vier Senatswächtern.« Er sah meinen Gesichtsausdruck und fügte sanfter hinzu: »Du bist als eine von uns aufgewachsen, und ich vergesse oft, dass du keine Vampirin bist.« Er sprach es rumänisch aus. Auf diese Weise klang es besser, doch die Bedeutung hinter den Worten traf mich mit der Wucht eines Vorschlaghammers. »Sie ist der Schlüssel zu dieser ganzen Sache. Wenn sie nicht mehr da ist, kann niemand mehr durch die Zeit reisen. Dann ist die Gefahr gebannt.«
Ich nahm mir die Kleidung der Frau vor, die überall verstreut lag, und
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