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Untot mit Biss

Untot mit Biss

Titel: Untot mit Biss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Chance
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Halsschlagader –, dass ich nicht sprechen konnte. Aber abgesehen vom dünnen roten Striemen am Hals und den trüben, tränenden Augen schien mit mir alles in Ordnung zu sein. »Bleib hier«, teilte ich einem sehr verwirrten Billy Joe mit. »Ich folge Jimmy.« Mein Kopf nickte, und eine Hand winkte mir zu. Ich nahm mir genug Zeit, das T-Shirt an meinem Körper zurechtzuziehen, damit nichts ungebührlich herausragte, richtete mich dann auf und lief ins Durcheinander.
    Pritkin rief etwas. Zwar hörte ich ihn, aber ich hörte auch alles andere, und damit meine ich wirklich alles. Die Gespräche im Umkleideraum waren ebenso klar, als fänden sie wenige Meter neben mir statt. Musik, die Geräusche der Glücksspielautomaten, ein Streit zwischen einem Kellner und jemandem in der Küche – ich hörte es so deutlich wie eine läutende Glocke. Die Herzschläge der wenigen überlebenden Werratten – einige von ihnen versuchten, unter die Autos zu kriechen –, das Atmen aller Personen um mich herum, ein kleines Stück Papier, das der Wind über den Parkplatz wehte … Dies alles verwandelte eine stille Nacht in die Rushhour bei der Grand Central Station. Vielleicht lernten Vamps, selektiv zu sein und Unwichtiges vom Wichtigen zu trennen. Ich schätzte, das mussten sie, wenn sie nicht verrückt werden wollten. Aber ich wusste nicht, wie man es machte, mit dem Ergebnis, dass ich zwar Pritkins wütendes Gesicht sah, der Grund dafür mir jedoch rätselhaft blieb.
    Mitten in dem wogenden bläulichen Miasma stellte ich fest, dass Tomas’ Augen Konturen sahen, aber keine Einzelheiten. Trotzdem war es nicht schwer, die auf dem Boden liegende Riesenratte zu erkennen. Verdammt. Ich wusste, dass sie Mist gebaut hatten. Wegen Jimmy würde ich wohl kaum Tränen vergießen, aber ich hätte von ihm gern etwas über meinen Vater erfahren. Außerdem hatten wir eine Vereinbarung getroffen, und es gefiel mir nicht, dass meine sogenannten Verbündeten sie ohne ein Wort an meine Adresse geändert hatten.
    »Er sollte besser nicht tot sein«, sagte ich, als Louis-Césars gerötetes Gesicht vor mir erschien. Weiter kam ich nicht, denn er streckte die Hand aus und packte mich am Hals, so fest, dass er die Kehle eines Menschen zermalmt hätte. Er stieß einige scharfe Worte hervor, wobei seine Stimme anders klang als sonst, und ich verstand ihn nicht. Mir blieb noch eine Sekunde, um
O Mist
zu denken, bevor mich vertraute Desorientierung erfasste und das Blau schwand. Ich schloss die Augen und wollte nicht glauben, dass sich mir ausgerechnet jetzt eine Vision präsentierte, aber ich konnte sie nicht verhindern. Plötzlich befand ich mich wieder in jenem kalten, steinernen Flur und hörte Stimmen voller unvorstellbarer Verzweiflung.
    Ich sank auf die Knie, nicht von der Umgebung schockiert, die alles andere als angenehm war, sondern von den Stimmen.
    Zuvor hatte ich gedacht, dass die schrillen Schreie von den Menschen in der Folterkammer stammten, doch jetzt wusste ich es besser. Die an die Wände geketteten Männer hatten erst zu schreien begonnen, als sie mich sahen. Zwar waren ihre Schreie voller Verzweiflung gewesen, aber nicht auf diese Weise. Es war ein Chor aus Hunderten oder gar Tausenden von Stimmen, und sie kamen nicht von Menschen, die noch lebten.
    Ich begriff, dass die eisige Kälte des Flurs nicht auf das Wetter zurückging, sondern auf die vielen gequälten Seelen in ihm. Nie zuvor hatte ich so viele Geister gleichzeitig an einem Ort gespürt. Sie schienen eine Art übernatürlichen Dunst zu bilden, der die Wände durchdrang und die Luft bis zum Ersticken füllte. Es war Verzweiflung, die Substanz bekam, wie eine Schicht gefrierende Schmiere in meinem Gesicht, etwas, das mir in den Mund drang und den Hals erreichte, mir den Atem nahm. Diesmal war ich allein, und ohne die ablenkende Präsenz des Foltermeisters konnte ich mich ganz auf die Stimmen konzentrieren. Langsam wurden sie deutlicher, was ich schon nach kurzer Zeit bedauerte.
    Ich bekam ein deutliches Gefühl von Intelligenz, von vielen Bewusstseinen, und keins von ihnen war glücklich. Zuerst hielt ich sie für dämonisch, weil so viel Zorn – wenn das ein angemessener Ausdruck war – von ihnen ausging. Aber sie fühlten sich nicht wie die mir bekannten Dämonen an, sondern wie Geister.
    Nachdem ich einige Zeit von ihrem Zorn umgeben gewesen war, verstand ich schließlich. Spukende hatten meistens eins von drei Hauptmotiven: Sie starben zu früh, sie starben einen ungerechten

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