Untot mit Biss
und den Menschen, zwischen Vampirfamilien, zwischen uns und den Magiern und so weiter. Bis die Senate entstanden, bis sie sagten: Genug, oder letztendlich zerstören wir uns selbst. Niemand möchte, dass sich jene Zeiten wiederholen, und das gilt insbesondere für den Konflikt mit den Menschen. Selbst wenn wir gegen die Milliarden gewännen, die sich uns entgegenstellen könnten – es wäre eine Niederlage, denn wie sollten wir an Nahrung kommen?« Er sah Pritkin an. »Uns liegt ebenso wenig daran wie Ihnen, dass viele unserer Art auf der Erde wandeln, ohne Aufsicht und ohne Hoffnung auf Geheimhaltung. Wir beißen, um ein Opfer bei einer Hinrichtung leerzusaugen oder um zu erschrecken, wie vorhin den Gefangenen. Aber für eine normale Nahrungsaufnahme benutzen wir eine sanftere Methode.«
Mirceas Aufmerksamkeit kehrte zu mir zurück. Er lächelte, und es war so, als bräche die Sonne nach tagelangem Regen durch die Wolken. Ich empfand es als atemberaubend.
»Was machen Sie mit ihr?« Pritkin sah an Tomas’ Schultern vorbei. »Sie machen gar nichts.« Er klang fast enttäuscht.
Tomas zog Mirceas Hand von meinem Gesicht fort. »Lass sie in Ruhe.«
Mircea sah ihn an. »Sie hat sich angeboten, Tomas. Du hast sie gehört. Wo ist das Problem? Ich habe versprochen, vorsichtig zu sein.« In Tomas’ Augen blitzte es auf, und er presste die Lippen zusammen. Mirceas Augen wurden ein wenig größer, und dann lächelte er erneut. »Verzeih. Ich habe nicht verstanden.
Aber gegen eine kleine Kostprobe hast du doch nichts einzuwenden, oder?« Er strich mir über die Wange, eine beiläufige Geste, und sein Blick galt dabei weiterhin Tomas. »Ist sie so süß, wie sie aussieht?«
Tomas knurrte leise, und diesmal
stieß
er Mirceas Hand beiseite.
Ich wünschte mir, dass Mircea weitermachte. Ich wollte Pritkin befragen, und das konnte ich nicht, solange er auf Vampire fixiert blieb. »Können wir es nicht einfach hinter uns bringen?«
»Ich mache es, wenn es unbedingt sein muss«, sagte Tomas und beugte sich zu mir vor.
Ich wich sofort zurück. »O nein. Dazu habe ich mich nicht bereit erklärt.« Ich schuldete Tomas einige Dinge, in Ordnung, aber Blut gehörte nicht dazu.
Mircea lachte einmal mehr; es klang sanft und angenehm. »Tomas! Hast du es ihr nicht gesagt?«
»Was soll er mir gesagt haben?«, fragte ich. Meine Stimmung verbesserte sich nicht.
Ein schelmischer Glanz erschien in Mirceas Augen. »Er nimmt seit Monaten Nahrung von dir auf,
Dulceatà,
und deshalb glaubt er, Ansprüche auf dich erheben zu können.«
Ich sah Tomas schockiert an. »Sag mir, dass das nicht stimmt.«
Die Antwort erschien in seinem Gesicht, bevor er ein Wort sagte, und ich hatte das Gefühl, als risse mir jemand den Boden unter den Füßen weg. Bei den Vampiren unterlag die Nahrungsaufnahme strengen Regeln. Niemand durfte regelmäßig das Blut eines Normalos trinken, da es in dem betreffenden Vampir eine Art Besessenheit schuf, was wegen Eifersucht zu vielerlei Problemen führen konnte. Aber ohne Erlaubnis Blut von jemandem zu nehmen, der mit unserer Welt verbunden war, galt als noch schlimmerer Verstoß gegen die Regeln. Es lag nicht nur an den sexuellen Nebenbedeutungen der Nahrungsaufnahme, sondern auch daran, dass jede Person, die der übernatürlichen Gemeinschaft hinzugerechnet wurde, über besondere Rechte verfügte. Tomas hatte gerade gegen mehrere Gesetze verstoßen, ganz zu schweigen von dem neuerlichen Verrat mir gegenüber. Vielleicht wäre ich imstande gewesen, ihm die Täuschung zu verzeihen, aber das nicht. Ich konnte kaum fassen, dass er so etwas getan hatte, doch sein Gesichtsausdruck bot einen deutlichen Hinweis.
Tomas befeuchtete sich die Lippen. »Es geschah nicht oft, Cassie. Ich musste immer deinen Aufenthaltsort kennen, und regelmäßige Nahrungsaufnahme schafft eine Verbindung. Dadurch konnte ich dich schützen.«
»Wie großzügig von dir.« Es kostete mich Mühe, die Worte hervorzubringen. Ich hatte das Gefühl, von jemandem geschlagen worden zu sein. Ich wollte aufstehen – aus welchem Grund auch immer –, aber Mircea legte mir die Hand auf die Schulter. Er war plötzlich ernst geworden, als hätte er begriffen, wie schwer mich die Neuigkeiten getroffen hatten. »Du hast allen Grund, dich über Tomas zu ärgern,
Dulceatà,
aber dies ist kein geeigneter Zeitpunkt. Die Schuld trifft mich: Ich hätte ihn nicht verspotten sollen. Bitte sieh zunächst darüber hinweg; andernfalls verbringen wir den ganzen Tag im
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