Untot mit Biss
glaube, dass es unserer lieben Cassandra darum geht, genau diesen Punkt zu verdeutlichen«, erwiderte Mircea. »Dass es nicht schädlich ist, wenn man es richtig anstellt.« Er sah mich an. »Hast du am Hof oft gespendet? Verstehst du den Vorgang?«
Ich nickte. »Ja. Außerdem gebe ich gelegentlich einem heißhungrigen Geist Nahrung.« Ich hatte beides getan und wusste daher: Was die Vampire machten, unterschied sich kaum von Billy Joes Nahrungsaufnahme. Der Unterschied bestand eigentlich nur darin, dass Billy Lebenskraft direkt aufnahm und die Vamps sie dem Blut entnahmen. Billy konnte von Glück sagen, dass ihm der Umweg übers Blut erspart blieb, da sein Körper irgendwo auf dem Grund des Mississippi lag. Mit substanzieller Nahrung konnte er nichts anfangen. Mircea näherte sich, mit der für ihn typischen Eleganz. Alle Untoten hatten sie, doch im Vergleich zu ihm wirkten die meisten Vampire schwerfällig. Er war ein alter Hase bei dieser Sache – ich wusste, dass er mir nicht wehtun würde, und er hatte bereits so viel getrunken, dass er nicht viel nehmen würde. Bei Billy Joe hingegen musste ich aufpassen, denn er nahm, so viel er konnte. Normalerweise machte das weiter nichts, weil ich die Energie mit Essen und Ruhe ersetzen konnte. Aber er wusste sehr wohl, wie viel ich jeweils zu geben bereit war, und in der vergangenen Nacht hatte er sich einfach darüber hinweggesetzt. Kein Wunder, dass er sich nicht blicken ließ.
»Was haben Sie vor?« Pritkin wollte sich nähern, aber Tomas ließ ihn nicht vorbei. Sie wirkten beide recht besorgt.
»Sorg dafür, dass er alles genau sieht, Tomas«, sagte Mircea und musterte mich nachdenklich. »Ich mache dies nur einmal. Cassandra ist bereits müde, und es gibt viel zu besprechen. Ich möchte sie nicht zu Bett bringen müssen.« Er lächelte und legte die Hand unter mein Kinn. Er fühlte sich warm an, aber das war immer der Fall. Bei den alten Vampiren gab es keine Temperaturschwankungen, die davon abhingen, ob sie kürzlich Nahrung zu sich genommen hatten oder nicht. »Ich werde dir keine Schmerzen zufügen«, versprach er.
Mir fiel ein, warum ich Mircea immer gemocht hatte. Die dunkelbraunen Augen und seine elegante Statur spielten natürlich eine Rolle, was nicht zuletzt an den jugendlichen Hormonen lag, aber seine Ehrlichkeit war mir wichtiger gewesen als das Erscheinungsbild. Nie hatte ich ihn auch nur bei einer Lüge ertappt. Bestimmt konnte er geschickt lügen, wenn er wollte – andernfalls hätten sich bei Hofe viele Probleme ergeben –, doch mir gegenüber war er immer aufrichtig gewesen. Das mochte sich nicht nach viel anhören, aber in einem System, das auf Täuschung und Ausweichen basierte, war Ehrlichkeit kostbar.
Ich sah zu ihm auf und zeigte ein Lächeln, das nur zur Hälfte für Pritkin bestimmt war. »Ich weiß.«
Pritkin konnte nicht zu mir gelangen, aber er trug keinen Knebel. »Das ist doch Wahnsinn! Sie wollen ihn von sich trinken lassen? Freiwillig? Dadurch werden Sie selbst zu einem Vampir!«
Mircea antwortete für mich, während der Blick seiner dunklen Augen auf mich gerichtet blieb. Sie waren nicht ganz braun, stellte ich fest, sondern eine Mischung aus vielen Farben: Cappuccino, Zimt, Gold und ein wenig Smaragd.
Wunderschön. »Wenn wir das Blut eines großen Teils der Bevölkerung trinken, wie Sie zu glauben scheinen, Magier Pritkin, wie könnten wir es dann vermeiden, Tausende oder sogar Millionen von neuen Vampiren zu schaffen?
Nötig sind nur drei Bisse an aufeinanderfolgenden Tagen, durch einen Meister der siebten Stufe oder höher. Ohne irgendwelche Einschränkungen müsste so etwas doch immer wieder geschehen, oder? Und dann würde es nicht lange dauern, bis wir kein Mythos mehr wären und man wieder Jagd auf uns machen würde.«
Er hielt inne, aber es war auch gar nicht nötig, dass er diesen Worten noch etwas hinzufügte. Ich konnte nicht glauben, dass Pritkin keine Ahnung davon hatte, was mit Dracula geschehen war. In den frühen Jahren war auch Mircea viele Male fast erwischt und getötet worden. Sein jüngerer Bruder Radu hatte nicht so viel Glück gehabt. Er war von einer aufgebrachten Menge in Paris gefasst und der Inquisition überstellt worden. Mehr als hundert Jahre lang hatte man ihn gefoltert, und als Mircea ihn schließlich fand und befreite, war er vollkommen verrückt. Seitdem blieb er eingesperrt.
»Einst herrschte ständig Krieg«, fuhr Mircea fort, als wüsste er, was mir durch den Kopf ging. »Zwischen uns
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