Untot | Sie sind zurück und hungrig
weiß ich genau. Ich fummele mit dem Klebeband herum und passe auf, dass ich sie mit meinen klammen Fingern nicht fallen lasse.
»Was soll das werden?«, herrscht Russ mich an. »Du wirst da nicht rausgehen.«
»Das geht dich gar nichts an!«, fahre ich ihn an. Er weicht ein Stück zurück. »Pete, jetzt sieh schon zu, dass du die Treppe da raufkommst. Smitty und Alice, ihr helft ihm besser.« Endlich habe ich die Pistole von der Folie befreit und drehe den anderen den Rücken zu, während ich nach dem Sicherungshebel gucke.
»Was hast du vor?«, nörgelt Alice. »Hör auf, uns rumzukommandieren, du Glatzenirre.«
»Nun macht schon!« Ich drehe mich um und richte die Waffe auf sie. Das ist wirklich scheiße von mir, ich weiß. Im Ernst: nicht zur Nachahmung empfohlen. Aber es beschert mir ein paar Sekunden, die glatt zum Totlachen wären. Weil Alice nämlich die Pistole sieht und total Muffensausen kriegt und sich auf den eiskalten Fußboden wirft. Falls ich in den nächsten Minuten tot bin – und das ist durchaus vorstellbar –, dann habe ich es Alice wenigstens vorher noch mal so richtig gezeigt.
Smitty schluckt. »Was zum Teu…?«
»Du auch«, unterbreche ich ihn. »Ich halte sie in Schach, ihr leuchtet Mum den Weg.«
Er bedenkt mich mit einem dermaßen abgefahrenen Blick – verwirrt, bewundernd, geschockt, außerdem noch ein bisschen verknallt und ängstlich –, dass ich denke, ich breche gleich zusammen. Aber er fügt sich. Weil man das so macht, wenn eine Knarre im Spiel ist.
»Ich fass es nicht, dass sie eine Scheißknarre hat. Eine Scheißknarre, die ganze Zeit!« Irgendwo hinter mir steigert sich Alice da voll rein, während ich die Tür öffne, hinaus in den Nebel schlüpfe und mich flach auf den Bauch lege. Jetzt wird’s ernst. Ich entsichere die Pistole. Ich hole Luft; der kalte, feuchte Stein, auf dem ich liege, lässt mich zittern, aber unter meinem Kragen ist Schweiß. Ich hebe die Pistole und gehe in Anschlag. Drei Gestalten zwischen den Nebelfetzen, drüben am Strand. Aber bald werden sie am Hafen sein und dann werde ich schießen. Ich bin kein Scharfschütze mit einem Gewehr. Das hier ist eine Kurzwaffe. Wenn ich die Männer erwischen will, dann darf ich erst schießen, wenn sie dichter dran sind – aber nicht so dicht, dass sie genau im Nebel verschwinden.
Michael zeigt die Hafenmauer entlang. Vielleicht hat er uns gesehen oder Alice’ Schimpfen gehört. Sie kommen in unsere Richtung; jetzt geht es bloß noch um Sekunden. Ich finde ein paar Hummerkörbe, hinter denen ich mich verstecken kann.
Jetzt steht nur noch eines an – jemanden töten.
Wen? Wer stirbt zuerst? Michael würde ich jederzeit gern draufgehen lassen, aber obwohl ich ihn dermaßen hasse, ist es schwerer, als ich gedacht habe. Ich hätte ihn einfach beißen sollen, als ich die Gelegenheit dazu hatte. Falls ich Recht habe und infiziert bin, hätte er sich inzwischen vielleicht schon verwandelt. Das wäre leichter gewesen, als ihn kaltblütig abzuknallen.
Okay, also er nicht. Wenigstens kenne ich keinen der anderen. Außerdem sind sie bewaffnet. Sobald ich schieße, werden sie zurückschießen. Da ist es sinnvoller, mir als Erstes einen von ihnen vorzuknöpfen.
Ene, mene, muh …
Am Ende nehme ich den, der am dichtesten dran ist, also das leichteste Ziel abgibt. Sorry, Mister.
Ich ziele, drücke leicht den Abzug. Nichts. Die Pistole ist schwer, lässt meine Hand schmerzen. Ich drücke fester zu. Es braucht immer einen Tick mehr, als man denkt …
Es knallt und ich taumele fast rückwärts ins Meer, obwohl ich damit gerechnet habe. Die Männer haben aber nicht damit gerechnet und machen alle einen Satz. Aber keiner fällt um. Ich habe danebengeschossen. Und mir wird klar, dass ich das so wollte. Weil ich das nicht kann. Ich kann auf sie schießen, aber töten kann ich sie nicht. Wie verdreht ist das denn? Die würden mich töten, ohne groß darüber nachzudenken, aber ich kann sie nicht erschießen.
Na ja, vielleicht eine Kugel ins Bein jagen …
Ich ziele erneut, aber inzwischen haben sie Deckung gesucht. Ich schieße trotzdem, damit sie wissen, dass der erste Schuss kein Versehen war. Und damit geht die Schießerei los, von der ich weiß, dass ich sie zwangsläufig verlieren muss, weil das da drüben ausgebildete Killer mit Gewehren sind und ich eine Oberschülerin mit einem guten Auge bin, aber nur noch drei Schuss habe und als Deckung bloß einen Hummerkorb.
Aber ums Siegen ging’s hier nie,
Weitere Kostenlose Bücher