Untreu
Hand durch sein gequältes Gesicht. Er sagte nichts.
»Du kannst dich nicht erinnern?« Herrgott. Warum wusste er ausgerechnet das nicht mehr?
»Nicht so richtig.«
»Eine Straße. Wo das Haus stand, in dem Farkas verschwunden war. Da standst du doch eine halbe Stunde oder so vor der Tür.«
»Ja.«
»Erinnerst du dich?«
»Ja...«
»Wo standst du genau?«
»Im... Torbogen von einem der Häuser gegenüber.«
»Ah ja. Wie war ... das Wetter? Kalt? Angenehm?«
»Am Anfang ... angenehm. Dann ziemlich kalt. Ich hab gefroren. Ich hatte Hunger und nicht mal einen Schokoriegel dabei.«
»Gut. Du hattest Hunger. Aber in der Straße, da gab's nichts? Nicht mal einen Imbiss?«
»Ich glaub nicht. Nein, da gab's nichts. Alles war dunkel. Kein Lokal, nichts.«
»Okay. Also ein Wohnviertel. Hohe Häuser? Altbauten oder eher neu?«
»Alt. Hohe Häuser.«
»Ihr wart zu Fuß unterwegs.«
»Ja. Am Anfang.«
»Dann nicht mehr?«
»Dann sind wir mit der S-Bahn gefahren.«
»Ja, richtig. Raus zu den Belolaveks. Aber anfangs...«
»Zu Fuß.«
»Zu Fuß in welche Richtung? Stadtmitte? Richtung Süden? Osten? Nur so ungefähr?«
Bauer sah sie an, als würde er gleich weinen. »Ich weiß nicht.«
»Okay. Macht nichts. Ist okay.«
»Ich kann mich einfach nicht erinnern! Diese Scheißstraße, dieses Scheißviertel! Ich hab mir die Hausnummer gemerkt, aber jetzt weiß ich den Namen der Straße nicht mehr. Ich weiß nicht mal ungefähr, wo das war!«
»Patrick, hör auf! Wir kriegen das raus. Du wirst dich erinnern. Und vielleicht ist es gar nicht wichtig.«
Es war wichtig, verdammt. Mona wusste, dass es wichtig war.
Auf dem Weg ins Dezernat klingelte ihr Handy. Es war Marko Selisch. »Ich hab was für Sie«, sagte er.
»Was? Den Todeszeitpunkt?«
»Ich denke schon. Die letzten beiden Tage hat's geregnet, Wetter und Temperaturen waren ähnlich wie zur Liegezeit der Leiche - ich denke, ich kann das jetzt hochrechnen.«
»Ja. Und?«
»Ich könnte Ihnen alles in meinem Büro zeigen. Die Berechnungsunterlagen, das Wachstum der Maden und so weiter.«
»Ich kann im Moment nicht kommen. Mir genügt fürs Erste das Ergebnis.«
»31. August. In der Nacht zum ersten September.«
»Nicht tagsüber. In der Nacht. Stimmt das?«
»Ja. Calliphora ist nachtaktiv. Auf der Leiche waren hauptsächlich Calliphora-Maden. Das hat sich auch auf dem Schwein bestätigt. Calliphora. Wenig Lucilia. Sie können davon ausgehen, dass es nachts war.«
»Wann nachts?«
Mona hörte ihn lachen. »Hellseher bin ich nicht. Nachts ist es passiert. Irgendwann ab Dunkelheit. Wahrscheinlich draußen. In diesem oder in einem der umliegenden Gärten. Ich habe keine Tiere gefunden, die in diesem Garten nicht vorkommen.«
»Sie sind sich sicher?«
»Soweit man das sein kann.«
31. August: Am 30. August hatte Karin Belolavek mit Milan Farkas Schluss gemacht, weil sie ihre Familie nicht gefährden wollte. Am nächsten Tag wird ihr Mann ermordet. War also doch Milan der Mörder? Hatte er sie angelogen? Sollte sie den Fall zu den Akten legen, denn die Wahrheit würde sie jetzt, nachdem auch Milan tot war, wohl nie mehr herausbekommen.
Aber etwas in Mona sträubte sich dagegen. Schließlich waren Karin Belolavek und ihre Tochter immer noch verschwunden. Und solange deren Schicksal nicht geklärt war, musste sie weiterermitteln.
Kapitel 10
»Satan wird nicht zufrieden sein«, sagt Kai. Sie läuft ruhelos in Leilas Zimmer auf und ab. Leila ist nicht da, niemand scheint im Haus zu sein. Maria wagt nicht zu fragen, wo Leila ist. Denn Kai wirkt so wütend, wie sie sie noch nie gesehen hat.
»Satan wird nicht zufrieden sein«, wiederholt Kai.
»Satan hat nie gesagt, dass ich ihn...« Maria bringt das Wort nicht über die Lippen.
»Und?! Was, glaubst du, hat er gemeint?! Satan, meine Liebe, sagt dir nie, was du tun sollst. Du musst von selbst erkennen, was richtig ist. Satan gibt dir alle Informationen, die du brauchst. Er hat es nicht nötig, Anweisungen zu geben.«
»Ich kann das nicht tun«, sagt Maria.
»Was nicht tun?«
»Das, was Satan will. Oder vielleicht will. Ich kann das nicht. Ich will das nicht.«
Kai kommt sehr nah zu ihr und fasst sie an den Schultern. Maria sieht zu ihr hoch, und zum ersten Mal fällt ihr auf, wie ausgezehrt Kai wirkt. Wie dunkel und eingefallen ihre Augenhöhlen in dem bleichen, knochigen Gesicht sind. Es ist, als fiele ein Schleier, als könnte Maria endlich wieder scharf sehen. Was hat sie getan? Die ganzen letzten
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