Untreu
und ich versuchte, dir das schonend beizubringen, aber du hast mich wutentbrannt sitzen lassen. Ranntest zu Karin, stelltest sie zur Rede. Gut, dass Karin so naiv war. Sie glaubte an das Gute im Menschen. Sie kümmerte sich um mich, weil sie glaubte, ich hätte es nötig: Das machte mir die Sache leicht.
Du brauchst eine Aufgabe
, sagte sie. Sie brachte mich in Bertolds Gemeinde unter, und ... nun ja, tatsächlich machte mir die Arbeit Spaß. Ich mochte es, Kinder zu unterrichten, denen es noch schlechter ging als mir. Aber das alles brachte mich nicht von meinem Weg ab.
Du hattest nie wirklich eine Chance bei ihr, mein Geliebter, tut mir Leid, dir das sagen zu müssen. Du hast dich an die falsche Frau verschwendet - an eins dieser perfekten, braven Mädchen, die sich wegen jedem kleinen Spurwechsel in die Hosen machen vor Angst und Skrupeln.
Was würde mein Mann sagen, wie würde meine Tochter reagieren, er ist sechzehn Jahre jünger als ich...
Gut, auch ich hatte damals dieses furchtbar schlechte Gewissen. Aber, mal ehrlich, was zwischen mir und dir passierte, war ja auch etwas ganz anderes. Wir gingen gemeinsam an sexuelle Grenzen, wir testeten mutig aus, was möglich war. Verglichen mit dem Sturm, den wir entfesselten, war das, was Karin dir erlaubte, ein laues Lüftchen. Leidenschaft sieht etwas anders aus, als sie es sich in ihrer schwärmerischen Kleinmädchenfantasie ausmalte. Echte Leidenschaft verwirrt die Sinne, raubt den Schlaf, verwüstet das Gesicht, katapultiert an Schmerzgrenzen. Nichts davon hat sie zugelassen. Aus Angst oder aus Kalkül?
Liebe ging immer spurlos an ihr vorüber, nicht wahr? Dass Bertold ihr verfallen war, hat sie vielleicht am Rande registriert. So nett wie sie tat, so kalt war sie im Grunde ihres blitzsauberen Herzens. Ich erkannte das, aber du nicht. Du warst gefangen von ihrer ... Ich weiß eigentlich nicht, wovon. Sie war ganz hübsch, aber alles andere als eine sinnliche Sensation. Sie hatte dir nichts zu geben, außer das, was sie jedem zukommen ließ: ihre langweilige, immer gleich bleibende Freundlichkeit, um nicht zu sagen: höfliche Verbindlichkeit. Ich möchte nicht wissen, wie sie im Bett war (also gut, es interessierte mich, aber du hast mich kalt abfahren lassen, und ich fragte nie wieder). Ich bin sicher, dass du dich - sei doch ehrlich! - gelangweilt hast.
Es kam der Tag, an dem ich erkannte, dass ich langsam anfangen musste zu handeln. Zu deinem Besten, Milan. Du warst Wachs in ihren Händen, du verlorst deine Kraft und deine Männlichkeit, die ich an dir immer geliebt habe: Die Essenz deines Wesens kam abhanden. Ich wollte sie dir zurückgeben. Ich hatte es in aller Offenheit versucht. Ich hatte dir mehrfach klar gemacht, dass Karin keine Frau für dich ist. Ich hatte auf dich eingeredet, Stunden um Stunden, aber du hast mir gar nicht zugehört. Deine wachsende Verzweiflung konnte ich nicht mehr länger mit ansehen.
Ich wusste, ich durfte nicht warten, bis Karin dich sang- und klanglos verließ (was sie vorhatte!). Das hätte dich gebrochen, ich hätte dich ein zweites Mal verloren, und diesmal wäre es unwiderruflich gewesen. Es brauchte ein dramatisches Ereignis, um dir zu beweisen, dass Karin deiner nicht wert war. Dass sie dich fallen lassen würde, wenn du ihrer Liebe tatsächlich bedürfen würdest.
Mein Plan stand fest. Er war nicht kompliziert, aber ich hatte mir dennoch jeden Schritt aufgeschrieben, um nichts zu vergessen. Sämtliche Eventualitäten aufgezeichnet, denn nichts, was man tut, bleibt ohne Konsequenzen, nicht wahr?
Das Problem war: Jede Handlung produziert Millionen Möglichkeiten. Ich konnte sie nicht alle berücksichtigen. Ich musste flexibel reagieren.
Verzeih mir, mein Schatz. Es ging nicht anders.
»Ich will, dass Sie mir so genau wie möglich diesen Abend beschreiben, Frau - äh - Faltermeier. Lassen Sie nichts aus. Alles kann wichtig sein.«
»Puh. Das ist ziemlich lang her. Ich weiß kaum noch was. Hab ich Ihrem... diesem jungen Mann eigentlich schon gesagt.«
»Fangen Sie einfach mit dem Anfang an. Schritt für Schritt.«
»Das hat keinen Sinn, wirklich.«
»Versuchen Sie's. Schritt für Schritt. Also: Ihnen sind die vielen Türen aufgefallen, die geöffnet und geschlossen werden müssen. Meinem Kollegen haben Sie damals gesagt, Sie fühlten sich wie... in einem Labyrinth. So steht's im Protokoll.«
»So war es auch. Als würde man sich in das Innere eines Schneckenhauses vorarbeiten. Ich hätte nie allein zurückgefunden.
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