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Untreu

Titel: Untreu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa v Bernuth
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einem seltsamen Gesichtsausdruck von ihr abwendet.
    »War nur eine Freundin, der es nicht gut geht«, sagt sie und scheint plötzlich nicht zu wissen, wohin mit sich. Schließlich verlässt sie mit ungeschickten Schritten die Küche. Sie lässt Maria einfach stehen.
    Das hat sie noch nie getan.
    Fünf vor drei saß Bauer allein in seinem Büro und überlegte, ob er sich eine Pflanze anschaffen sollte. Etwas Lebendiges, Buntes, das er hegen und pflegen könnte. Die Leiche verfolgte ihn weiterhin bis in den Schlaf, obwohl nun doch schon eine gewisse Zeit vergangen war und er sie bislang nicht mehr zu Gesicht bekommen hatte. Sie ruhte in der Kühlkammer der Rechtsmedizin, für kurze Zeit konserviert, bis sie der Erde erneut übergeben werden würde. Vielleicht würde man sie auch verbrennen. Das wäre ihm am liebsten. Dann wäre sie auf einen Schlag nicht mehr vorhanden und würde ihn nicht mehr quälen.
    Nachts sah ihn die Leiche mit ihren leeren Augenhöhlen an, als wollte sie ihn ermahnen. Manchmal bewegte sie ihren halb skelettierten Finger und sagte etwas zu ihm, das er aber regelmäßig vergessen hatte, wenn er um vier, fünf Uhr morgens aus dem Schlaf schrak und dabei seine Freundin aufweckte. Er schlang dann immer seine Gliedmaßen um ihren warmen nackten Körper wie ein Ertrinkender. Er wollte Sex, aber nicht aus Liebe, sondern um zu vergessen, und das spürte sie sehr wohl, und deswegen wies sie ihn auch immer ab.
    Lass mich in Ruhe. Ich bin total kaputt.
    Er musste das jetzt durchstehen. Es würde immer leichter werden, von Leiche zu Leiche, ganz bestimmt: Irgendwann würde er so cool sein wie die anderen. Tagsüber ging es ihm schon ganz gut. Die anderen fütterten ihn mit Horrorstorys, beispielsweise von Faulleichen in Plastikplanen, die sich derart aufgelöst hatten, dass sie im Leichensaft förmlich zerfielen, und er übte sich eifrig darin, ungerührt zu erscheinen. Das war nicht einfach. Besonders Schmidt und Forster überboten sich schier im Versuch, ihn aus der Fassung zu bringen. Immer gingen sie bis in die letzte grässliche Einzelheit.
Wir müssen unseren Jungspund abhärten.
Manchmal drängten sie ihn dazu, eklige Detailaufnahmen aus alten Akten anzusehen.
    Bauer wehrte sich nicht gegen solche Zumutungen, denn sie hatten ja Recht. Er musste abgehärtet werden, sonst würde er in diesem Job nie weiterkommen, und das wollte er unbedingt, denn zumindest das Ermitteln machte ihm richtig Spaß. Das Reden mit den Zeugen, das Fragenstellen, das Kombinieren und Analysieren von Zusammenhängen. Da war er am richtigen Platz, das spürte er, und das andere, das musste sich eben ergeben. Bauer packte seine Unterlagen zusammen und begab sich zur Konferenz.
    Mona traf Patrick Bauer auf dem Gang. Sie lächelte ihm ermunternd zu. Er war immer noch reichlich blass und sah aus, als hätte er abgenommen. »Alles klar, Patrick?«, fragte sie.
    »Ja.« Seine leise und brüchige Stimme hörte sich nach dem Gegenteil an, aber jetzt war keine Zeit, dem nachzugehen. Er hielt ihr die Tür zum Konferenzraum auf. Eine Rauchwolke kam ihnen entgegen; Schmidt und Forster pafften, als würden sie dafür bezahlt. Ein muffiger Geruch nach ungewaschenen Kleidern und altem Zigarettenrauch erfüllte den Raum, weil beide ihre feuchten Parkas über die Heizung gehängt hatten. Niemanden außer Mona schien das zu stören. Sie setzte sich und sah zum Fenster. Der Regen war wieder stärker geworden und lief in dicken, sirupähnlichen Schlieren die Scheiben herunter.
    Zwei Stunden später stand fest, dass sie nichts hatten. Es gab einige Freunde der Belolaveks, die sich im Dezernat gemeldet hatten und willig waren zu helfen. Und selbst diese passten eigentlich eher in die Rubrik gute Bekannte. Wirklich enge Kontakte - Beziehungen, die über Partys und gelegentliche Essenseinladungen zu viert hinausgingen - hatten die Belolaveks offenbar weder gebraucht noch gepflegt. Die einzige Ausnahme war Jens Zimmermann.
    Nachbarn und Bekannte beschrieben Karin Belolavek als freundlich, entgegenkommend, sympathisch und hilfsbereit. Sonst war nichts über sie in Erfahrung zu bringen. Ihre Eltern waren tot, Geschwister hatte sie nicht, und weitere Verwandte waren nicht aufzufinden. Weder gab es eine beste Freundin noch alte Freunde oder ehemalige Studienkollegen. Karin Belolavek hatte laut Studentenverzeichnis in München Literaturwissenschaft und Philosophie studiert, aber nie einen Abschluss gemacht. Es gab keine Seminararbeiten von ihr, und kein

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