Untreu
keine Kunst, Männer für eine schnelle Nummer zu finden. Die Kunst besteht vielmehr darin, sie für die Frau selbst zu interessieren.
Und das gelingt mir immer besser. Ich weiß nun, wie ich lächeln muss, um jene Irritation hervorzurufen, die der Erkenntnis vorangeht, dass ich nicht zu haben und deshalb einzigartig bin. Dabei gehe ich schon längst nicht mehr den leichtesten Weg. Ich zeige kein Verständnis mehr für Männer, die mir ihre allgemeine Erschöpfung zu Füßen legen wie ein erlegtes Wild. Wenn sie über ihre Firmen, ihre Ehen, ihre Familien klagen, nicke ich nicht mitfühlend, sondern schweige gnadenlos. Solche Frauen können sie überall haben. Ich bin anders. Ich wechsle das Thema. Ich diskutiere mit ihnen über das Wesen Schwarzer Löcher (die paradoxe Existenz des totalen Nichts) und über die spirituellen Qualitäten der Quantenphysik. Ich fordere sie, und sie folgen mir willig. Ich spüre, wie sehnsuchtsvoll sie sich eine Frau wünschen, mit der sie reden könnten wie mit mir. Doch ich weiß in jeder Sekunde: Wenn sie mich erobert hätten, würden sie alles tun, um mir auszutreiben, was sie an mir fasziniert.
Warum funktioniert Liebe auf diese Weise? Vielleicht weil auch Liebe endlich ist. Ihr Ziel heißt Gleichgültigkeit.
Sobald ich merke, dass sie an meinen Lippen hängen, verabschiede ich mich. Es gibt keine Handynummer und keine Aussicht auf ein Wiedersehen. Ich weiß, dass ich mich auf diese Weise unvergesslich mache. Dann kehre ich zurück in mein altes Leben. Dort gibt es einen Mann, ein gemeinsames Kind, ein gemeinsames Haus. Es besteht aus einer Konstruktion, die Sicherheit garantieren soll und in erster Linie Langeweile produziert. Ich finde mich damit ab, jetzt noch. Es wird der Tag kommen, an dem mir das nicht mehr reicht. Bis dahin erhalte ich das fragile Gleichgewicht aufrecht. Es liegt mir nichts daran, meinen Mann neu zu erobern, sonst hätte ich ihm längst gezeigt, was ich heute alles kann und weiß.
Aber du musst keine Angst haben, so oder so nicht. Niemals wird ein Mann dir Konkurrenz machen können. Wenn du mich ansiehst, öffnet sich alles an mir und in mir. Du sagst manchmal »meine Rose« zu mir, und genauso fühle ich mich in deiner Gegenwart: als etwas Kostbares und zutiefst Lebendiges. Nur wenige Männer gaben mir ein ähnliches Gefühl, und bei ihnen musste ich immer Angst haben, dass sie mich irgendwann in eine Vitrine stellen und mich dort unberührt verstauben lassen. Du dagegen hast deine Hände überall. Wenn wir auf der Straße nebeneinander gehen, umarmst du mich alle paar Schritte - so lange, bis ich endlich die Angst vergesse, von Bekannten mit dir zusammen gesehen zu werden. Es ist ohnehin lächerlich. Die Gefahr ist so gering im falschen Viertel einer Millionenstadt.
Aber anfangs war es schon hart genug, die Blicke der Unbekannten auszuhalten, sich nicht zu schämen, nicht wegzusehen. An Frauen meines Alters bemerke ich manchmal einen Ausdruck von - Neid? Bewunderung? Junge Mädchen übersehen mich dagegen dreist und flirten ganz offen mit dir. Am schlimmsten aber sind ältere Männer. Wenn sie nicht demonstrativ wegsehen, mustern sie mich von Kopf bis Fuß und geben mir anschließend wortlos zu verstehen, dass ich keine Chance habe.
Du glaubst, du kannst diesen Jungen halten? Dich würde ja nicht mal ich noch nehmen!
Du sagst, dass ich mir das einbilde (ich hätte niemals mit dir darüber sprechen dürfen!). Aber nun ist es passiert, und im Grunde ist es gut, dass du auch meine Ängste kennst. Wenn wir eine gemeinsame Zukunft haben sollten, kommen wir ohnehin nicht darum herum. Und ganz allmählich entwickle ich einen Stolz, der nichts mit Trotz zu tun hat, sondern von innen kommt. Wenn es kalt ist, schiebe ich meine Hand in deine Manteltasche. Deine Hände sind immer warm.
Wir haben mittlerweile sogar ein Stammlokal. Es ist im bayerischen Rustikalstil der sechziger Jahre eingerichtet. Hier gibt es Cevapcici und ähnliche Gerichte, die ich aus meiner Kindheit kenne, als es noch an jeder Straßenecke jugoslawische Restaurants gab. Der Besitzer, ein Bosnier, begrüßt uns mit Handschlag. Oft sind wir die einzigen Gäste. Das liegt an der Tageszeit: Wir kommen nie vor drei Uhr nachmittags. Ich lade dich gern zum Essen ein, denn ich mag es, wie du isst. Wie du jeden Bissen genießt. Und du bist jedes Mal von einer Bescheidenheit, die mich rührt. Nie nimmst du ein teureres Gericht als ich. Sodass ich mittlerweile für uns beide bestelle, und wir essen
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