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Untreu

Titel: Untreu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa v Bernuth
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warmer Tag, um uns herum waren die Leute und die Buden und die Stände mit den Töpfereiwaren. Das war unsere erste und einzige Verabredung. Wenn man das so nennen kann. Es ist ja nichts passiert.«
    »Ja. Und?«
    »Irgendwann haben wir uns vor eine dieser Buden gestellt und Kaffee getrunken. Und da erzählte sie von sich.«
    »Und zwar was?«
    »Sie war nicht glücklich. Sie hatte einen Mann, der mit seinem Job verheiratet war, und eine Tochter, an die sie nicht mehr herankam.«
    Mona seufzte.
    »So weit waren wir auch schon«, sagte sie zu Grimm.
    »Tut mir Leid. Mehr hat sie nicht gesagt.«
    »Hat sie eigentlich auch mal mit ihrem Mann darüber gesprochen oder bloß mit Ihnen und Frau Leitner?«
    Grimm legte seine Hände aneinander, als wollte er ein Dach aus seinen Fingern bilden. Seine Fingerspitzen waren sehr weiß. Vielleicht kam das von der kühlen Witterung.
    »Ja, sie hat wohl schon versucht, manches zu klären. Sie hätte zum Beispiel gern eine Paartherapie gemacht. Aber er wollte wohl nicht, und dann hat sie's auf sich beruhen lassen.«
    »Kann es sein, dass sie nicht gerade eine Kämpfernatur war?«
    Grimm fuhr sich durch die Haare und sah an ihr vorbei. Der Wind fegte über die leeren Tische und Bänke. Sie waren die Einzigen, die es noch draußen aushielten.
    »Sind Sie eine?«, fragte er.
    »Was? Eine Kämpfernatur?«
    »Wie muss man Ihrer Meinung nach sein, um dieses Prädikat zu verdienen? Was erwarten Sie eigentlich von Menschen? Und gibt es welche, die Ihre hehren Ansprüche erfüllen?«
    »Schreien Sie mich nicht an.«
    »Ich schreie nicht.«
    Mona schwieg. Sie schob ihren Teller zur Seite und zog sich den Parka enger um die Schultern. Grimm fischte sein Portemonnaie aus der Innentasche seines Jacketts und winkte der Kellnerin.
    Später ging sie allein noch einmal das Protokoll seiner ersten Aussage und ihr Gedächtnisprotokoll der zweiten durch, Frage für Frage. Da war immer noch einiges offen. Grimm kannte Karin Belolavek besser, als er zugab, das war sicher. Vielleicht liebte er sie. Vielleicht war in Wirklichkeit er derjenige, von dem sie Theresa Leitner erzählt hatte. Mit ihrer Behauptung, er sei viel jünger als sie, wollte die Belolavek vielleicht nur eine falsche Spur legen.
    Nein. Zu weit hergeholt. Man kam gar nicht auf so was, wenn es nicht stimmte.
    Bei einer von Grimms Antworten während der ersten Befragung stutzte sie. Dann wählte sie seine Nummer.
    »Hier ist noch mal Seiler, Dezernat 11. Diese Lesungen, die Frau Belolavek organisiert hat...«
    »Ich habe Ihnen die männlichen Autoren gefaxt.« Grimms Stimme klang ungeduldig und kühl.
    »Es geht mir nicht um die Autoren. Es geht mir um die Orte.«
    »Welche Orte?«
    »Sie haben mir bei unserem ersten Gespräch gesagt, die Lesungen finden auch mal an ungewöhnlichen Plätzen statt. Wo, zum Beispiel?«
    »In der Kirche. In einem schönen Lokal, manchmal auch im Gemeindesaal. Dann reichen wir Häppchen und Wein. Wieso ist das wichtig?«
    »Können Sie nicht ein bisschen genauer werden? Welche Kneipen? Was gehen da für Leute hin?«
    Gereiztes Schweigen am anderen Ende der Leitung. Dann: »Warten Sie, ich frag mal unsere Sekretärin.« Ein Klicken ertönte, und
Freude schöner Götterfunken
dudelte ihr ins Ohr. Nach
Tochter aus Elysium
kam seine Stimme zurück.
    »Sind Sie noch dran?«
    »Ja.«
    »Also, unsere Frau Peschel meint, am ungewöhnlichsten war sicher die Lesung in der Jugendstrafanstalt.«
    »In der...«
    »Für fünfzig Insassen und fünfzig andere Besucher. Die Initiative ging vom Direktor aus, der wollte seinen Jungs mal was Kulturelles bieten. Die haben einen Raum für solche Veranstaltungen. Ich war zu der Zeit in Urlaub, aber das Ganze hatte natürlich meinen Segen.«
    Jugendstrafanstalt. Das bedeutete junge Männer en masse. Zwischen sechzehn und 28.
    »Wurde diese Lesung von Karin Belolavek organisiert?«
    »Ja.«
    »War sie also auch dabei?«
    »Natürlich. Ist ja klar. Das gehörte zu ihrem Job.«

ZWEITER TEIL
    Winzige Erreger, bislang unauffällig, aber gefräßig, brechen mit aller Macht aus dem Darm, ihrem Wirt, der sie nicht mehr sättigen kann. Eine unheimliche Phalanx, die Speerspitze des endgültigen Verfalls, wandert in die Blutbahn, ernährt sich von erstarrtem Lebenssaft und färbt die Adern in moosiges Grün. Bald schimmert eine bizarre Landkarte voller Straßen ins Nichts durch die immer feinere, transparentere Haut. Währenddessen bilden sich Gase und blähen die erschlaffte Epidermis auf.

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