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Untreu

Titel: Untreu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa v Bernuth
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Gesicht, Körper und Glieder nehmen allmählich den doppelten bis dreifachen Umfang an. Es entsteht eine groteske Gestalt mit unkenntlich verdickten, verzerrten Zügen.
    Es ist eine der vorletzten Stationen auf dem Weg der Transformation des Fleisches. In eine neue Daseinsform.
    Die Jugendstrafanstalt bestand aus mehreren zweistöckigen neuen Backsteingebäuden, die geradezu anheimelnd wirkten, bis man die massiven Gitter vor den Fenstern sah. Mona legte ihr Handy und ihre Ausweiskarte auf den drehbaren Metallteller vor der Anmeldung. Der Polizist hinter der Scheibe aus doppeltem Panzerglas studierte ihren Ausweis und schrieb ihren Namen auf ein Kärtchen, das er in einen Plastikumschlag schob.
    »Stecken Sie das gut sichtbar an«, sagte er überflüssigerweise ins Mikrofon. Seine Stimme tönte blechern aus dem Lautsprecher. Mona nickte.
    »Die Kollegin holt Sie ab. Eine Minute noch.«
    »Okay.«
    Mona setzte sich auf einen der billigen Klappstühle. Ihre Gedanken wanderten zu Lukas, dessen Klassenlehrerin sie am Vortag einbestellt hatte. Eine kleine Frau mit ergrautem Haar. Wenn sie lächelte, zeigte sie auffallend gelbe Zähne. Mona hatte sich die ganze Zeit bemüht, ihr nicht auf den Mund zu schauen.
    Ihr Sohn schwänzt ab und zu die Schule. Haben Sie das gewusst?
    Nein. Das ist...
    In den letzten beiden Wochen dreimal. Mathe und Physik. Da hat er ziemliche Lücken. Die Fächer sollte er gerade nicht schwänzen.
    Aha. Also, wie gesagt, das wusste ich nicht.
    Dennis. Das ist der Junge, mit dem er zusammen schwänzt. Immer nur so stundenweise, damit's nicht weiter auffällt. Seine Mutter war schon da. Sie sagt, Lukas ist die treibende Kraft. Wie sehen Sie das?
    Ich...
    Das kann von unserer Seite aus nicht geduldet werden. Sie müssen da auf Ihren Jungen einwirken. Das können wir ja den Eltern nicht abnehmen.
    Ich werde mit ihm reden.
    Aber das hatte sie nicht getan. Der Abend war wieder sehr lang gewesen, und als sie nach Hause kam, wartete ein Berg Wäsche auf sie, und Lukas schlief schon längst - diesmal bei ihrer Schwester Lin. Heute musste sie das mit ihm klären. Oder spätestens morgen.
    »Mona Seiler?«
    Mona sah auf. Eine junge Beamtin in beigegrüner Polizeikluft stand vor ihr. »Wollen Sie mitkommen?«
    »Ja, klar.« Mona erhob sich. Wieder einmal spürte sie lähmende Müdigkeit in allen Gliedern. Es war nicht gut, zu lange zu sitzen, ohne etwas zu tun zu haben. Die Beamtin ging mit forschen Schritten vor ihr her. Sie hatte eine straffe, gute Figur, die nicht einmal die hässliche Uniform verderben konnte. Sie blieb vor einer schweren Tür am Ende des Ganges stehen. »Station eins«, sagte sie und lächelte Mona an, während sie ihren Schlüsselbund herausholte, die Tür aufschloss und hinter Mona wieder absperrte. Sie war dunkelhaarig und sehr hübsch. Auf ihrem Namensschildchen über dem rechten Busen stand Susanne Richter.
    »Bis zu Willi sind's sechs Stationen.«
    »Ich weiß«, sagte Mona.
    »Ich habe Sie hier noch nie gesehen.«
    »Ich Sie auch nicht. Sind Sie neu in der JSA?«
    »Na ja. Halbes Jahr.«
    Sie passierten die zweite Tür.
    »Und, gefällt es Ihnen?«
    »So lala. Ich möchte irgendwann ins Dezernat elf.«
    »Ja?«
    »Sicher. Ich wollte schon immer zur Mordkommission. KHK in der MK. Was sind Sie?«
    »KHK. Bald vielleicht EKHK.« Das hätte sie nicht sagen sollen. Über solche Dinge redete man nicht, solange sie in der Schwebe waren.
    »Ach, dann sind Sie die von der MK 1, die der Irre letztes Jahr entführt hat.« Die Beamtin sah sie bewundernd an. »Das ist übrigens auch mein Ziel.«
    »Was? Entführt werden?«
    »EKHK. In der MK.«
    »Oh. Tja. Das schaffen Sie bestimmt. Wenn Sie das wirklich wollen.«
    »Station drei.«
    Den Rest des Weges schwiegen sie. Monas Augenlider fühlten sich schwer an. Sie hatte wieder einen toten Punkt erreicht; selbst im Gehen schien ihr ganzer Organismus auf Schlafen programmiert zu sein. Wie im Traum registrierte sie, dass ihre Turnschuhe klebrig-quietschende Geräusche auf den gewienerten Linolplatten produzierten, die Ledersohlen der Beamtin dagegen ein angenehmes, unaufdringliches Klack-Klack. Schließlich standen sie vor dem Büro des Leiters.
    »Ciao, Mona«, sagte Susanne Richter und entfernte sich mit wiegenden Hüften. Bestimmt war die halbe Belegschaft in sie verliebt, dachte Mona. Sie riss gewaltsam die Augen auf, klopfte und öffnete die Tür.
    »Schön, dich zu sehen«, sagte der Leiter, ein schlanker Mann mit silbrigem Dreitagebart und

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