Unvergessliches Verlangen: Roman (German Edition)
verlassen hätten.
Sie wäre vielleicht auch auf der sicheren Seite gewesen, wenn sie getrennte Kojen gehabt hätten. Doch die einzige Kabine für alle an Bord bestand nur aus einem Raum, war eng und hatte eine niedrige Decke. Die gesamte Crew war darin eingepfercht. Und so waren sie und Jack gezwungen, sich eine Pritsche zu teilen.
Sie schliefen nicht miteinander: nicht in einem Raum mit fremden Männern. Aber sie berührten sich, spendeten einander Trost, übernahmen wieder alte Schlafgewohnheiten und schliefen aneinandergeschmiegt wie Löffel in einer Schublade.
Und jede Sekunde war gefärbt von der Erinnerung an den Moment, als sie aus Lady Kates Haus geschlichen waren. Die Duchess hatte Olivia am Arm gepackt und geflüstert: »Vergessen Sie nicht – das ist Ihre Chance.«
Es dauerte fünf Tage, bis sie Brügge erreichten. Es waren fünf bedächtig dahinziehende Tage, in denen sie Seite an Seite mit echten Kahnführern arbeiteten. Sie glitten an Kornfeldern entlang und hörten die Kirchturmuhren der Dörfer, an denen sie vorbeischipperten, die Stunde schlagen.
»Ich wusste nicht, dass du kochen kannst«, bemerkte Jack, als sie ihr erstes Abendessen verspeist hatten.
Lachend schüttelte sie den Kopf. »Wir kennen einander eigentlich gar nicht, oder?«
Er runzelte die Stirn, und Olivia schoss der Gedanke durch den Kopf, dass er als Bauer noch besser aussah – die Haut sonnengebräunt und das Haar zerzaust vom Wind. »Was meinst du damit?«
Ihr Lächeln war dünn. »Wenn du dich an meinen Vater erinnerst, war er der knauserigste Mann in North Riding. Und meine Mutter kam nie mit fremden Köchen zurecht. Also stand ich meistens in der Küche.«
Dadurch hatte sie in den Jahren darauf viel Geld gespart. Sie konnte in Gasthöfen und Bäckereien arbeiten, sogar als sie schwanger gewesen war.
Jack lehnte sich auf dem Deck zurück, wo sie beide den abnehmenden Mond beobachteten, der sich auf der Wasseroberfläche spiegelte. Er schüttelte den Kopf. »Das stimmt. Du konntest sehr gut Pfirsichtarte backen. Eigentlich hast du alle Arten von Süßspeisen beherrscht, wenn ich so darüber nachdenke. Ein Jammer, dass der Koch dich in der Abbey nicht in sein Reich lassen wird.«
Vor zwei Tagen noch hätte sie sich eine scharfe Erwiderung verkneifen müssen. Doch irgendwie beruhigte dieses Schiff sie. Je mehr Zeit sie mit Jack fernab von dem Haus in Belgien verbrachte, fernab von der Realität, die sie in London erwartete, desto mehr gab sie sich diesem allzu behaglichen Rhythmus hin.
Sie arbeiteten harmonisch zusammen – ob es nun beim Kochen oder Putzen oder dem Führen der großen, goldenen belgischen Pferde war, die den Kahn durch die Kanäle zogen. Sie fingen wieder an, über dieselben Witze zu lachen und einander zu umarmen, um die Stille des Sonnenaufganges zu genießen oder die Architektur von Gents berühmten drei Türmen zu bewundern. Unverzeihlicherweise begann sie, diese Harmonie zu genießen.
Dann tauchte wie ein kalter Wind Kit Braxton auf. Der Kahn glitt gerade durch das morgendliche Brügge, und die Sonne küsste kaum die Spitze des mittelalterlichen Glockenturms, der die Stadt überragte. Olivia hatte sich einen Moment Ruhe gegönnt, nachdem sie das Frühstück serviert hatte. Sie saß vorn im Kahn und beobachtete, wie die Sonne über den treppenförmigen Kaminen der ordentlichen Häuser aufging, die am Wasser standen. Sie wünschte sich, mehr Zeit zu haben, die skurrile belgische Architektur zu genießen.
Plötzlich spürte sie, wie Jack hinter sie trat. »Ärger«, murmelte er.
Sie entdeckte Kit sofort. Er wartete auf einer unruhigen braunen Stute und hatte zwei Pferde im Schlepptau. Er hatte noch kein Wort gesagt, dennoch konnte Olivia Angst spüren.
»Braxton«, begrüßte Jack ihn mit bewundernswerter Ruhe, »was für eine Überraschung.«
Der junge Dragoner warf ihm ein Lächeln zu. »Leider keine gute. Ihr Ziel wird überwacht. Was halten Sie von einem kleinen Ausritt in gestrecktem Galopp?«
Olivias erster Impuls war es zu protestieren. Jack war einer solchen Belastung noch nicht gewachsen.
Aber als sie zu Jack blickte, bemerkte sie, dass er wie ein Junge grinste. »Ich kann mir keine bessere Art vorstellen, um die schlechte Laune loszuwerden.« Er wandte sich zu ihr und streckte den Arm aus. »Liv?«
Unter keinen Umständen konnte sie zugeben, dass sie seit fünf Jahren nicht mehr auf einem Pferd gesessen hatte. Sie war eine gute Reiterin gewesen – neben dem Schießtraining noch
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