Unvergessliches Verlangen: Roman (German Edition)
nur, dass seine Erinnerungen zu schmerzhaft wurden. Und dass die Erinnerungen an Liv am schmerzhaftesten waren.
»Ich war in Frankreich«, sagte er.
»Ja«, entgegnete Lady Kate mit verwirrender Offenheit. »Das haben wir uns schon gedacht.«
Bei diesen Worten erhob Jack sich. »Sie haben sich das gedacht? Was meinen Sie damit?«
»Ach, setzen Sie sich lieber. Ich bin zu schwach, um Sie vom Boden aufzusammeln.«
Er nahm wieder Platz, und sie zog einen Sessel heran, sodass sie beide am Fenster saßen. Es wirkte beinahe so, als wollten sie beide Olivia im Auge behalten, die noch immer im Garten saß.
Nachdem sie wie eine Debütantin beim Tee ihre Kleider geordnet hatte, nahm Lady Kate die Diplomatentasche zur Hand, die Olivia vorhin bei sich gehabt hatte. »Erkennen Sie das hier wieder?«
Er starrte die Tasche an. »Sie blicken in die falsche Richtung«, beharrte er. »Ich muss es ihnen sagen.«
»Wem sagen?«
Wenn er erwartet hatte, bis ins Mark zu erschrecken, hatte er sich getäuscht. Er erinnerte sich noch immer nicht. »Ich habe keine Ahnung.«
»Und Sie waren in Frankreich.«
Das konnte er nicht länger bestreiten. War es nicht eine Straße in Paris gewesen, die er mit Mimi entlangspaziert war? Er erinnerte sich an Paris. Sein Vater hatte ihn während des kurzen Friedens im Jahr 1804 mal mitgenommen. Die Stadt hatte etwas Unverwechselbares – die Architektur, der Geruch, der Klang dieser melodiösen Sprache.
Und er hatte eine französische Uniform getragen.
Wieder rieb er sich über die Stirn. Es kam ihm vor, als würden die Kopfschmerzen nie mehr aufhören. »In Paris. Und am Strand, wo ich auf irgendjemanden gewartet habe.«
»Und sonst erinnern Sie sich an nichts?«
»Mimi. Ich sah sie sterben. Armes Mädchen …«
»Ja, da bin ich sicher.«
Jack ertappte sich dabei, dass er lächelte. Die Duchess wirkte nicht so, als würde ihr dies etwas ausmachen. »Sie könnten zumindest Ihr Bedauern über den Tod eines Menschen ausdrücken.«
Ein lachendes Mädchen, das ihn aus der tiefen Verzweiflung geholt hatte. Wer hatte ihm gesagt … was gesagt?
Die Duchess war unbeeindruckt. »Sie werden verstehen, dass unser erster Gedanke Olivia gilt. Und bis Sie sich daran erinnern können, was Sie in einem Land getan haben, mit dem wir im Krieg waren, und wie es Ihnen gelungen ist, in einer französischen Uniform und mit französischen Depeschen aufs Schlachtfeld zu gelangen …«
Sein Kopf schnellte so abrupt nach oben, dass er schon befürchtete, er würde abreißen. »Was meinen Sie?«
Ärgerlich verzog sie das Gesicht. »Oh, verdammt. Und ich wollte vorsichtig sein.«
»Welche Depeschen?«
»An General Grouchy. Sagt Ihnen das etwas?«
»Ja. Er war Kommandeur der Reservetruppen auf der rechten Flanke.«
»Der linken Flanke, Jack«, korrigierte sie ihn. »Von der britischen Front aus betrachtet. Und General Grouchy ist nicht so bekannt.«
Er spürte, wie das Blut aus seinen Wangen wich. »Wollen Sie mir damit sagen, dass ich ein Vaterlandsverräter bin?«
»Ich will damit sagen, dass wir es nicht wissen. Olivia glaubt es nicht, doch sie ist ein bisschen voreingenommen, wenn es um Sie geht. Aber ehe wir es nicht mit Sicherheit wissen, können wir Sie nicht aus diesem Haus lassen. Und bis wir Sie gehen lassen können, wird Olivia weiterhin unglücklich sein. Also haben wir Kit Braxton gebeten, heute Abend zurückzukommen.«
Jack wusste nicht, was seine Aufmerksamkeit vor dem Fenster gefesselt hatte. Er dachte gerade, dass die Duchess vollkommen verrückt geworden sein musste, wenn sie annahm, er hätte Vaterlandsverrat begangen, als er instinktiv wieder nach Olivia sah.
Doch sie war nicht mehr da.
»Sie muss hineingegangen sein«, sagte er unvermittelt. »Rufen Sie Marcus Belden.«
Die Duchess runzelte die Stirn. »Earl Drake? Warum?«
Aber Jack hörte ihr nicht zu. Er schien seinen Blick nicht von dem verlassenen Garten abwenden zu können, der im Halbdunkel lag. Wie sollte man zwischen diesen Blumen und Büschen irgendetwas erkennen?
Doch er sah etwas.
Und mit einem Mal war er auf den Beinen. Livvie war noch immer dort unten. Sie kämpfte mit jemandem, einem Mann, und Jack konnte sehen, dass der Kerl etwas in der Hand hielt, das im Mondlicht schimmerte.
»Holen Sie Hilfe!«, rief er und lief los. »Livvie wird angegriffen.«
Bevor die Duchess aufgestanden war, rannte er schon durch die Tür.
»Du gottverdammtes Weib«, zischte er in ihr Ohr. »Wo ist es?«
Verzweifelt zog Olivia an dem
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