Unverhofft kommt oft
und das meiste davon war wirklich schlimm. Dieses Geständnis würde alles ändern. Sie dachte an Julian, an ihren wundervollen Julian, dem immer eine blonde Locke ins Gesicht fiel. Julian, der sie noch vor wenigen Tagen geliebt hatte wie kein anderer. Julian, der sie zu nie gekannter Ektase brachte. Und dieser Mann, in den sie begonnen hatte sich zu verlieben, hatte nicht nur Roberta betrogen und vielleicht sogar Alessia geschwängert, nein, er hatte ihr alles verschwiegen und als nichts abgetan, als sie ihn danach fragte. Wie könnte sie ihm je wieder in die Augen blicken? Wie könnte sie je wieder seinen Körper auf ihrem spüren?
Sie rannte los, rannte davon.
„Wo willst du hin?“, rief Alessia ihr nach, doch sie blickte sich nicht um.
Sie rannte und rannte.
Vorbei am Eingang zur Backstube, vorbei am Ladenfenster, vorbei an den vielen Bürogebäuden, an der Bank. Die lange Market Street hinauf, bis sie am Ende angelangte. Dann den Embarcadero hoch. Sie sah den Coit Tower schon von Weitem, warum sie auf ihn zu rannte, wusste sie nicht. Sie wusste nur, sie musste rennen, all ihre Wut rauslassen, ihre Enttäuschung vernichten.
Am Fuße des Hügels angelangt, machte sie ganz außer Puste Halt. Sie sah hinauf, erblickte den Turm, der zu Ehren der Feuerwehrmänner der Stadt von den 100.000 Dollar gebaut worden war, die Lillie Hitchcock Coit 1929 nach ihrem Tode dafür hinterließ.
Sofia legte eine Hand über die Augen, da die Sonne so blendete. Ihr wurde bewusst, dass sie seit einem Schulausflug in der dritten Klasse nicht mehr dort oben gewesen war. Also machte sie sich auf, den Hügel und etliche Treppen hoch, bis sie völlig außer Atem ganz oben auf der Aussichtsplattform angelangte. Nun musste sie sich erst einmal auf den Boden setzen, denn sie war fix und fertig und ihre Beine zitterten wie Espenlaub.
Durchatmen. Durchatmen. Julian. Alessia. Roberta. Sex mit Julian. Julian vögelt Roberta. Julian treibt es mit Alessia. Julian ist ein Arsch. Julian ist ein Lügner. Julian ist so sexy. Julian ist so wundervoll. Julian ist so gut aussehend. Julian ist ein Betrüger. Julian ist für sie gestorben.
♥
Noch eine ganze Weile stand sie oben auf dem Turm und sah auf die Stadt hinunter. Auf der einen Seite sah man die Golden Gate Bridge, wie sie orange und majestätisch über alles herrschte. Drehte man sich um, war da die Oakland Bridge, die wahrscheinlich sogar noch größer und länger war als ihr Vorläufer, jedoch lange nicht so imposant. Sie war grau und leblos, fast hatte Sofia ein wenig Mitleid mit ihr. Fühlte Alessia sich so wie diese Brücke? Immer in den Schatten gestellt? Sie hatte es immer für Unsinn gehalten, aber wenn es sogar so weit ging, dass sie ihren Mann betrog, nur weil er einen Moment lang Augen für sie gehabt hatte, schien es wohl doch tiefer zu gehen, als sie gedacht hatte.
Alessia hatte sich an Tom rächen wollen. Alessia hatte mit Julian geschlafen. Alessia war schwanger geworden. Wer war der Vater? Tom oder etwa Julian? Wenn man Glück hatte, würde man es in zwei Monaten sehen, nämlich wenn das Baby auf die Welt kam und aussah wie einer der beiden Männer. Konnte man es nicht erkennen, würde Alessia sie im Ungewissen lassen? Wusste Tom von Julian? Wusste Julian von Alessias Schwangerschaft? Er war lange nicht in der Bäckerei gewesen, und auch da hielt Alessia sich meist nur in der Backstube auf. Aber wer sagte ihr, dass sie sich nach diesem einen Ausrutscher nicht noch einmal getroffen hatten? Weiterhin etwas miteinander gehabt hatten?
Sie hatte bisher von alledem nichts mitbekommen, wie konnte sie sicher sein, was jetzt noch Wahrheit war und was Lüge? Wie konnte sie irgendwem von ihnen noch vertrauen? Eines hasste Sofia wirklich: Unehrlichkeit! Sie sagte immer, was sie dachte, auch wenn sie damit wahrscheinlich manchmal den einen oder anderen verletzte. Aber was man ihr wirklich nicht nachsagen konnte, war, dass sie nicht ehrlich war. Lügen waren was für Feiglinge, fand sie. Und genau mit solch einem hatte sie sich dummerweise eingelassen. Das Komische war, dass alle Gefühle, die sie noch am Morgen für Julian gehabt hatte, wie verflogen waren. Weg. Julian war ein Arsch, mit dem sie nichts mehr zu tun haben wollte. Er sollte aus ihrem Leben wegbleiben. Dumm nur, dass noch immer zwei ihrer Bilder in seiner Galerie hingen.
10. Kapitel
„Jenni, bist du da?“, rief Sofia, als sie nach Hause kam.
Sie hatte es nicht fertig gebracht,
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