Unverkäuflich!
Monatelang leben Dekeysers, Onkel Seppi und Tante Resi auf der Baustelle.
Die junge Mutter Ann-Kathrin mit Carolin, der ältesten Tochter.
Jeden Tag arbeiteten wir achtzehn Stunden, viel Wirbel, viele Termine, viele Reisen, ein mörderisches Tempo. Ich reiste in die Schweiz, nach Paris, Mailand, Singapur, Hongkong, Bangkok. Um dieses Pensum meistern zu können, half mir der Sport. Jeden Morgen jogge ich, ganz egal wie früh oder kalt oder nass es ist oder ob der Rotwein vom Vorabend auf die Schläfen drückt. Disziplin half mir immer, und für mich bedeutet Erholung nicht, auf der Couch herumzuliegen, sondern mich zu bewegen. Rauf auf den nächsten Berg! Rauf aufs Wasser! Ab in den Sattel, bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Daheim lebte die Großfamilie, drei Generationen unter drei Dächern, das war mein Rückhalt. Auf einer Mischung aus Baustelle und Bauernhof, zu dem nun auch Ponys gehörten und ein Hund. Dass das Zusammenleben so reibungslos funktioniert hat, auch in der Enge der Doppelhaushälfte, ist nur mit Toleranz zu erklären. Ob es mit den eigenen Eltern auch so gut geklappt hätte? Ich habe meine Zweifel. Wir führen ein abenteuerliches Leben in unserem kleinen Team: Onkel Seppi ist oft dabei, Oya Yalun – eine Seelenverwandte, eine herzliche, kluge Frau, die ich einmal auf der Möbelmesse in Köln kennengelernt hatte – und meine Schwestern Sonja und Lilly. Sonja hatte Journalistik in Wien studiert und mit der Möbelbranche wenig zu tun, doch es gefiel ihr, Beruf und Familie zu vereinen. Ihre Ideen, besonders im Marketing, ihre Zielstrebigkeit und gute Organisationsgabe sollten Dedon in den nächsten Jahren maßgeblich prägen. Die Kunst ist es, mit wenigen Mitteln die eigene Idee zu erklären – und darin waren wir schon immer versiert. Lilly ist die Künstlerin in der Familie, sehr kreativ und immer freundlich. Auf einen Messestand in Köln karrten wir einmal tonnenweise Sand heran, um unseren Gästen ein Barfußgefühl zu geben, nach Strand und Erholung. Was niemand bedacht hatte: Wie entsorgen wir nach Messeende den Sand und kommen rechtzeitig zur nächsten Messe nach Paris? Wir schaufelten und fluchten und lachten, und als wir endlich fertig waren, rollten wir im Kleinlaster nach Paris. Der Diesel brummte und die Lichter der Autobahn zogen endlos vorbei. Wir fuhren abwechselnd, der Rest schlief hinten zwischen Stühlen und Liegen im Laderaum. Manchmal teilten wir uns zu fünft ein Hotelzimmer, weil es während der Messezeiten, wenn mancher Hotelier Wucherpreise verlangt, nicht anders zu schaffen war.
Neben aller Lebensfreude ging es aber auch darum, das Geschäft am Leben zu halten. Wenn die Messe schloss, fuhren wir oft mit dem Laster los, um im Schein einer Taschenlampe auf dem Stadtplan Bestellungen auszuliefern. Mehr als einmal stoppte uns die Polizei, weil uns ein Wachdienst oder aufmerksame Nachbarn für Einbrecher hielten. Das Geschäft kam ins Rollen, langsam zwar, aber es kam ins Rollen, und wir freuten uns über jede Order, die im Hühnerstall aus dem Faxgerät lief. Immer mehr Hersteller bestellten die Faser, weil sie von der Qualität überzeugt waren, als Alternative zum wetterempfindlichen Rattan. Wir schufen uns die eigene Konkurrenz. Die Produktion der Möbel auf den Philippinen machte Fortschritte, und wenn ein Container im Hamburger Hafen eintraf, auf einen Lastwagen verladen wurde und bei uns in Volkstorf auf den Hof kam, liefen alle Kinder aus der Nachbarschaft herbei, um der Familie beim Ausladen zu helfen und sich ein Taschengeld zu verdienen. Seppi und ich stapelten die Stücke neben dem Verpackungsmaterial in der alten Scheune, deren Platz schon bald nicht mehr ausreichte. Nebenan grasten Kühe. Auslieferungen mussten wir also auf der Wiese im Freien vorbereiten, und wenn es regnete, was in Niedersachsen regelmäßig der Fall ist, mussten die Kunden warten. Den Grund für die Verzögerung erfuhren sie nicht.
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Singapur, Hongkong, Bangkok – das mag nach süßem Abenteuerleben klingen oder nach weiter Welt, aber die Realität sieht anders aus, wenn man auf den billigsten Plätzen unterwegs ist. Tickets in der Business Class waren für uns unerschwinglich. In der Not griff ich zu Tricks wie dem Gipsfuß, mit dem ich einen Bänderriss simulierte und auf die Nächstenliebe der Stewardessen setzte. Unsere Hotels befanden sich meist am Stadtrand, und gerade in Hongkong waren sie eher Biotope für Schaben: heruntergekommene Hochhauskasernen, ratternde
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