Unvermeidlich
letzten Stunden gefunden. Kati rutscht neben mich auf den Boden und schließt mich in die Arme.
„Habt ihr den Lautsprecher eingeschaltet?“, höre ich Alex fragen.
Meine Mutter nimmt das Telefon auf und stellt den Lautsprecher ab, bevor sie es sich ans Ohr hält. Sie spricht in einem ruhigen Ton und gibt nur knappe Antworten. Ich kann mich gar nicht mehr beruhigen, obwohl ich erleichtert bin.
Nach einer Weile hält meine Mutter mir den Hörer hin. Ich kann immer noch nicht sprechen, also höre ich einfach nur zu.
„Sie hat keine Ahnung, was passiert ist. Ich habe die beiden bei McDonalds in der Stadt gefunden. Vorher waren sie auf dem Indoor-Spielplatz. Er hat ihr erzählt, das wäre mit dir abgesprochen. In dem Glauben sollten wir sie auch erst einmal lassen. Sie ist zwar verwirrt, weil du ihr zuvor nichts gesagt hast, aber sie hatte keine Angst.“
Ich habe viele Fragen, doch es kommen immer nur weitere Schluchzer aus meinem Mund.
„Ela, Baby, du musst dich jetzt beruhigen. Später kannst du zusammenbrechen, aber wir sind in 10 Minuten bei euch und sie sollte dich so nicht sehen.“
„Okay“, schniefe ich. Seine Stimme beruhigt mich mehr, als ich mir eingestehen möchte.
Meine Mama kommt aus der Küche und stellt mir ein übervolles Glas Weißwein vor die Nase.
„Was anderes habe ich auf die Schnelle nicht gefunden. Trink das aus, nimm auch noch ein zweites, falls du es brauchst, und dann nimm dein Kind in Empfang. Wir verschwinden jetzt, damit Anna nicht beunruhigt ist.“
„Was ist mit der Polizei?“, frage ich, immer noch mit tränenerstickter Stimme.
„Jakob regelt das gerade. Er hat auch schon mit Alex gesprochen“, sagt Kati, die neben mir auf ihrem Smartphone herumtippt.
„Du siehst jetzt nur zu, dass du dein Kind ins Bett bekommst und um alles Weitere kümmern wir uns morgen“, sagt meine Mutter. Sie nimmt eine Packung Taschentücher aus ihrer Handtasche und beugt sich zu mir runter, um mir die Tränen aus dem Gesicht zu wischen, doch ich nehme ihr das Tuch ab und erledige das lieber selbst. Zu viel Fürsorge sorgt nur für mehr Tränen.
Wie ein nasser Sack hängt Anna im Tiefschlaf auf Alex‘ Schulter. Ich kann nur schwer widerstehen, sie nicht aufzuwecken und fest an mich zu drücken. Es ist besser so, denn vollständig habe ich meinen Tränenfluss, trotz einer halben Flasche Wein, nicht im Griff. Behutsam trägt Alex sie in ihr Zimmer und legt sie auf ihrem Bett ab. Ich ziehe ihr nur die Sandalen aus und decke sie in ihrem dünnen Sommerkleidchen, das sie noch trägt, zu. Einen kleinen Kuss auf ihr Haar und dann schleiche ich auf Zehenspitzen aus dem Raum.
Was ich jetzt tun muss, schmerzt schon beim Gedanken, aber ich muss an Anna denken.
Alex wartet mit offenen Armen vor ihrer Zimmertür und kann es nicht fassen, als ich einfach an ihm vorbeilaufe.
„Was ist los?“
„Woher wusste Steffen, wo wir sind?“, frage ich geradeheraus.
„Von mir, Ela. Er hat gefragt, ob du heute Abend hier bist. Da habe ich ihm gesagt, was wir planen, aber dass du später wieder zu Hause bist. Das hätte ich dir noch erzählt, aber ich wollte uns den Tag nicht verderben. Ich konnte nicht ahnen, dass er so etwas abzieht.“
„Du musst gehen, Alex. Jetzt!“ Ich halte ihm bereits die Wohnungstür auf, doch er macht keine Anstalten, die Wohnung zu verlassen.
„Wie bitte? Ist das meine Schuld, dass Steffen Anna mitgenommen hat?“
„Das hab ich nicht gesagt und ich bin auch froh, dass du sie mir wiedergebracht hast. Aber das hier, zwischen uns, das kann so nicht weitergehen. All das ist nur passiert, weil wir unsere Finger nicht bei uns behalten konnten.“
„Ist das dein Ernst? Ela, so einfach kannst du es dir nicht machen.“
„Doch, Alex. Das kann ich. Für Anna. Ich kann nicht nur an mich denken und das darf nie wieder passieren. Er darf keine Grundlage haben, sie mir wegzunehmen.“
Alex reibt sich mit den Händen durchs Gesicht. Er sieht müde aus. Es schmerzt, dass ich ihn nicht in den Arm nehmen kann. Aber es war ja vorauszusehen, dass die ganze Sache nie von Dauer sein kann.
Meine Arme sind vor dem Brustkorb verschränkt. Teilweise, um Alex davon abzuhalten, mich zu berühren, teilweise aber auch, um mich selbst zusammenzuhalten. Denn sobald er zur Tür raus ist, werde ich in tausend Einzelteile zerbrechen und ich weiß nicht, ob ich noch einmal die Kraft finde, alle Teile von Neuem zusammenzusetzen.
„Ela“, seufzt er und legt eine Hand auf meine Wange. Schon rollt
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