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Unverstanden

Unverstanden

Titel: Unverstanden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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Sicherheit keine, die Überstunden machte, aber vielleicht hatte sie ja ein schlechtes Gewissen bekommen. Martin hatte fest vor, die Außenstände noch zu bearbeiten, die er an diesem verlorenen Arbeitstag nicht hatte erledigen können. Dass man ihn gefeuert hatte, war für ihn kein Grund, seine Pflichten zu vernachlässigen.

    Martin zog die Schlüssel aus der Tasche, als er auf das Tor zuging, merkte aber, dass es bereits aufgesperrt war. Er machte sich nicht die Mühe, das Licht einzuschalten, um ins Büro zu kommen. Es war auch unnötig. Er kannte alles auswendig - wie die Maschinen positioniert waren, wo die Regale standen. Sein halbes Leben lang war dies sein Zuhause gewesen, der Ort, wo er sich wertvoll und gebraucht vorgekommen war. Und jetzt war das alles weg - wie eine Socke im Trockner, die einfach nicht mehr auftauchte.
    »Was machst’n du da, Trottel?« Unique stopfte sich mit flinken Händen Büroutensilien in die Handtasche.
    »Ich wurde gefeuert.«
    »Jaja«, murmelte sie und stopfte sich den Hefter in eine Seitentasche. »Norton meinte, er habe nur einen Grund gesucht, dich loszuwerden.«
    »Mich loszuwerden?«, wiederholte Martin. Das konnte nicht stimmen. Bei der letzten Jahresbewertung hatte Norton Shaw ihm die Note »ausreichend« gegeben. Man bewertete jemanden nicht als »ausreichend«, wenn man ihn loswerden wollte.
    »Warum bist denn du überhaupt draußen?«, fragte sie. »Ich dachte, du sitzt inzwischen schon auf dem elektrischen Stuhl.«

    »Es ist eine tödliche Injektion«, korrigierte sie Martin. »Stiehlst du Büromaterial?«
    »Man soll sich’s nehmen, solange noch was zu holen ist«, belehrte sie ihn und versuchte, sich eine Packung Papier in die Tasche zu stopfen. »Unique kann die Schrift an der Wand lesen.«
    Martin zuckte zusammen. In der dritten Person sprach sie von sich nur, wenn sie sich bedroht fühlte. Er konnte sich noch gut an das erste Mal erinnern. Martin meinte, es wäre nur fair, wenn sie die Damentoilette putzte, so wie man von ihm erwartete, dass er hinter den Männern herputzte. »Unique putzt keine Toiletten!«, hatte sie damals geschrien.
    »Unique …«, begann er.
    »Schwierigkeiten mit der Polizei kann ich nicht gebrauchen«, sagte sie. »Unique bleibt auf keinen Fall hier, wenn die Polizei weiter Fragen stellt.«
    »Was für Fragen?«
    »Kann sein, dass ich im Einkaufszentrum mal Klamotten gekauft habe, die ich nicht direkt bezahlt habe.«
    Martin war entrüstet. »Du hast gestohlen?«
    Sie deutete auf ihr leuchtend purpurrotes, seidenes Kostüm. »Meinst du, ich kann mich so anziehen mit den paar Kröten, die sie mir hier bezahlen?«

    Er war tatsächlich dieser Ansicht gewesen.
    »Ich muss doch auf mein Aussehen achten«, sagte sie zu Martin und schob ihn beiseite, als sie zu seinem Schreibtisch ging. »Bei ihrer Garderobe versteht eine Dame keinen Spaß.«
    Vielleicht war es, weil er eben selber mit dem Gesetz in Konflikt geraten war, aber Martin merkte, dass seine Entrüstung sich sehr schnell in Faszination verwandelte. Drei Jahre lang hatte er mit dieser Frau gearbeitet, ohne zu wissen, dass sie eine Diebin war. »Hat man dich erwischt?«
    »Kann sein, dass da noch eine Ermittlung läuft. Du weißt doch, wie das ist.«
    Hatte sie ihm zugeblinzelt? Martin glaubte, sie hatte es getan. »Ja«, sagte er. »Da ich ja jetzt selber im Knast war, weiß ich, was du meinst.
    Sie schaute ihn mit gespitzten Lippen an. Sah er da Respekt in ihren Augen?
    »Ich habe mit den Fischen gekämpft«, sagte er, um seinen Knast-Slang auszuprobieren.
    Sie schaute ihn skeptisch an. »Gekämpft um was?«
    »Na ja, du weißt doch, im Knast gibt’s strikte Trennungen. Ich musste mich den Weißen anschließen. Man muss sich da sofort für eine Horde entscheiden.«
    »Horde?«

    Er lehnte sich an die Kante ihres leeren Schreibtisches. »Na ja, einer Gang eben.«
    Sie kippte einen Karton mit Rechungsformularen aus und füllte ihn mit Post-it-Stapeln von Martins Schreibtisch. »Hast du Sandy wirklich umgebracht?«
    »Na ja, ich …« Er suchte nach den richtigen Worten. »Sie hat mich ziemlich übel verarscht.«
    Unique hielt mit den Post-its inne. »Du warst wütend nach dem Dildo, mh? Ich hab’s in deinen Augen gesehen, als dieser Gummi in deinen Daumen schmolz.« Sie kicherte. »Hab ich’s doch gewusst, dass mehr in dir steckt, Martin.«
    Martin. Sie hatte ihn Martin genannt. Nicht Trottel. Nicht Teiggesicht. Martin.
    »Sie hat dich ziemlich sauer gemacht, was?«
    Das Einzige,

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