Unzeitgemäße Gedanken: Tagebücher 2 (German Edition)
würde, und es gibt kaum ein Haus, das unbeschädigt an seinem Platz steht. Etwas, das der Mensch gekannt und geliebt hat, kann nicht noch vollkommener zerstört werden.
Und unten, auf dem Markt am Szénaplatz, feindet sich das Volk in den Geschäften an, die über den Bombentrichtern der Ruinen aufgemacht haben: hamstert Schmalz, Zucker, Mehl von habgierigen Händlern, habgierige Kunden kämpfen kreischend gegen ein Schreckgespenst, das schon beginnt, Form anzunehmen: gegen den Hunger des nahen Winters. Was hat dieses Leben noch für einen Sinn? Man sagt, es sei auch anderswo in Europa nicht besser.
Na, dann kümmere dich um all das nicht. Ich bin dieser Rauferei, dieser Bereitschaft zur Vorhersage und Verteidigung längst müde, bin kein Seuchenarzt. Irgendwie wird es schon werden. Vergiss diese Welt, wende dich den Büchern zu, dem Wald, der Einsamkeit. Und vergiss die Menschen, so weit sie es zulassen. Du wirst frieren und hungern, und sie werden dich belästigen: Zieh dich vor dem Hunger, der Kälte, den Menschen in eine noch tiefere Gleichgültigkeit zurück. Keiner kann dir helfen, denn jeder ist Mensch, ein zum Helfen unbegabtes Wesen. Ein Schwein hilft dir, indem es fett wird und du es abstichst. Doch ein Mensch? Von ihm wird dir am meisten geholfen, wenn er dir nicht übermäßig schadet! Erwarte von niemandem etwas, denn größer als ihre Dummheit ist nur ihre Habgier, schrecklicher als ihre Eitelkeit nur ihre Unbildung. Wende dich ab von jedem, in immer tiefere Einsamkeit, werde noch strenger und unversöhnlicher. Schmeiß ihnen den Knochen hin, für den sie dich anfeinden, und kümmere dich nicht um sie.
Am frühen Morgen lese ich in der Bibel. Die Psalmen. Ich lese die Sprache Gáspár Károlis , nicht den Sinn der Bibel … Diese Sprache knirscht und knistert wie frischer Schnee, wenn wir durch den Wald streifen.
Dieses staatsartige Gebilde vermehrt mit einer Hand wie wild das Geld, mit der anderen will es die Folgen der Geldvermehrung verbieten … Die Menschen beantworten diese Dummheit auf die einzig mögliche Weise: Sie sabotieren, machen mit Geld und Ware, was eben möglich ist.
Am Vormittag lese ich Móricz’ Einakter : Wie die Blumen auf dem Feld und so weiter. Gegen Abend sitze ich in Tahi, im Wirtshaus. Die Einheimischen lassen zu meiner Unterhaltung von einem angeheiterten kleinen Mann – einem verwahrlosten, herumlungernden, bastelnden, sein Leben mit allerlei Abfallarbeit fristenden kleinen Mann in Gatyahose , mit Pfeife und ohne Zuhause – die Geschichte seiner Scheidung vortragen. Der kleine Mann präsentiert mit herzlicher Bereitwilligkeit das groteske Elend einer menschlichen Geschichte: Während er mit der Frau wegen der Güterteilung reden wollte, weigerte die sich zu teilen, pinkelte ihn statt dessen an, schmierte ihm die Hälfte vom Zwetschgenmus in die Augen und streckte ihm zum Abschied statt des Gesichts den blanken Arsch hin … Mit ausladenden Gesten und bereitwillig trägt er zum Vergnügen der grinsenden und lachenden Dorfleute sein Elend vor. Ich schweige mit säuerlicher Miene und wundere mich, mit wie wenig sich Móricz, dieser große Schriftsteller, zufriedengegeben hat!
Das weltliche Handeln setzt sich aus vielen Formen des Widerstands zusammen. Vor allem der Widerstand von Dummheit und Unbildung hat verhindert, dass sich die menschlichen Dinge auf dieser Welt befriedigend gestalteten. Das weiß ich und begreife ich; aber ich hab es furchtbar satt.
Befreiung ist zu Ende gebracht.
In sieben Wochen habe ich sie geschrieben, in einem Tempo wie bisher kein einziges meiner Bücher. Diese flotte Bereitwilligkeit ist mir verdächtig. Die Gefahr bei so lauten Themen ist stets, dass das Thema anstelle des Schriftstellers in enthusiastischer Eile spricht. Ist der Schriftsteller im Besitz so »großer« Themen, hat er nicht immer in der Hand, was er sagen will, und weiß niemals, ob er nun Großartiges schreibt oder Kitsch. Befreiung ist, so glaube ich, kein Meisterwerk, aber sie ist auch nicht kitschig. Die Sache hat Hand und Fuß und schildert ein Ereignis.
Jetzt ist es langsam an der Zeit, dass ich dieses bescheidene Weihnachtslametta, das die neue Zeit, Grimassen schneidend, auch mir an die Brust geheftet hat, die Mitgliedschaften in Gesellschaften und so weiter – vorsichtig, ohne Aufsehen –, ablege und in laut- und namenloses Verstummen, also in meine Arbeit, abtauche. Meine Lage ist keineswegs zweideutig: Sie ist ebenso eindeutig, wie sie es in der
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