Unzeitgemäße Gedanken: Tagebücher 2 (German Edition)
Menschen hungern, essen Gemüseeintopf, und für diesen Eintopf zahlen sie mit ihren letzten Hosen, ihren letzten Hemden. Die Preise, in Dollar und Gold, liegen weit über der weltweiten Parität. Ein Kilo Schmalz, Zucker kosten anderthalb Dollar, ein Doppelzentner Mehl einen Napoleondor, also zwanzig Goldfrancs. Die Inflation, dieser besondere vacuum cleaner , pumpt die Reserven aus den Taschen der Hamster; denn was soll das Gold, wenn es keinen Preis hat und man essen, wohnen, heizen muss? … Nach dem sündteuren Mittagessen stehe ich hungrig vom Tisch auf. Ich habe Kartoffeln gegessen und irgendwelche Nudeln für einen halben Dollar. Rund um mich mästet sich eine bestimmte Sorte Mensch mit Gänsebraten und gebackenem Huhn – was sind das für Menschen? Es gibt auch Juden unter ihnen, aber wenige. Eher irgendwelche plötzlich reich gewordenen Poliertypen, die Flaschenweine für tausend Pengő trinken und eine Portion Gans für sechshundert vertilgen. Das hat sich nicht geändert; vor einem Vierteljahrhundert und vor einem Jahr plätscherten die Gleichen um das sinkende Schiff herum.
Der Justizminister ersucht mich, über den Neusatzer Prozess zu schreiben. Es ist der schmachvollste Prozess der jüngsten ungarischen Geschichte. Ich übernehme den Auftrag nicht, kann meine Feder nicht in dieses blutige Spülicht tauchen. [Durchgestrichener Eintrag.]
Für den Rest meines Lebens bin ich nicht mehr gewillt, mich mit etwas anderem als mit schöngeistiger Literatur zu beschäftigen. Das bedeutet natürlich nicht, dass ich mich auf eine Wolke setze und die Füße baumeln lasse. Be freiung ist jene Grenze, bis zu der ich bereit bin, mich mit der Gegenwart einzulassen. Doch die Rollen müssen aufgeteilt werden: Die große Säuberung sollen andere erledigen, und es sollen wenige bleiben, die diese Arbeit auf sich nehmen.
Das Beispiel der Irrung und Verwirrung des Gyula Illyés ist erschreckend und betrüblich. Er ist heute schon so weit wie József Erdélyi .
Herbst mit Nebel, der den Morgen verdunkelt, mit säuselnd-rieselndem Regen, wilden und üppigen Düften, kühlen Nächten, Kaminkehrern und Inflation. Alles zerfällt. Ich schlafe nicht.
Jetzt beginnt jenes Kapitel des Krieges, das nicht am unerträglichsten ist, aber viele Opfer fordern wird. Dieser Abschnitt heißt Trostlosigkeit.
Heute vor einem Jahr fielen Bomben. Jetzt ist alles vom Schutt der Trostlosigkeit bedeckt. Die Alltagssorgen, feindseliger politischer Hass, das kleine, arme, kurzsichtige, fade Leben. Daran werden auch viele sterben. Die Bomben waren schließlich nur eine momentane Gefahr. Diese andere Gefahr ist eine permanente, sie zieht sich dahin, ist ausdauernd, sumpfig und voller Laichkraut … Keuchend wate ich auf Storchenbeinen durch dieses Gestrüpp von Laichkraut. Es wird nicht einfach sein, das zu ertragen, noch seiner überdrüssig zu werden.
Kein lebender Mensch geht mich innerlich etwas an.
Dieser Schriftsteller hat zehn Jahre lang geschwiegen. Dann erhob er die Stimme, und es zeigte sich, dass es nichts gab, worüber er hätte schweigen müssen. Er schwieg einfach so, ohne Inhalt. Das ist das wahre Scheitern.
Kleine, duckmäuserische Menschen harren, sich die Hände reibend, jenes Augenblicks, in dem sie die »Sünden« des Konkurrenten in die Welt hinausposaunen können. Doch die »Sünde« ist gar nicht, was der eine oder andere begangen hat; die Sünde, jene wirkliche Schuld, für die man geradestehen muss, ist unser menschliches Wesen. Und bei dieser Prüfung fallen viele durch, auch wenn sie, was ihre Taten angeht, vielleicht sogar sündenfrei sind.
Die Nation sucht jetzt fieberhaft nach der Gnade und Bereitschaft jener Schriftsteller, die der Welt ihre Sünden erklären können … Jetzt wird der Schriftsteller hervorgezerrt, die Nation fleht ihn an, droht ihm, bittet ihn eindringlich: Er möge doch das schlechte Zeugnis begründen .
Die Gesamtheit der Ungarn ist bei dieser historischen Prüfung durchgefallen. Das Land ist nicht länger Heimat, nur mehr Erinnerung und Staatsgebiet.
Die Angelsachsen flüstern wieder wie ein Verführer den Ungarn ins Ohr: Sie sollten doch mit dem aggressiven Partner brechen; jetzt also mit dem Russen. Aber sie versprechen ihnen nicht, sie zu heiraten, wenn sie sich von ihm trennen.
Heute vor einem Jahr haben sie uns ebenso zugeredet, mit den Deutschen zu brechen. Nur haben sie uns auch damals nicht geholfen. Ein Volk windet sich in der tödlichen Umarmung der Großmächte, und die
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