Unzeitgemäße Gedanken: Tagebücher 2 (German Edition)
zwei riesige, schlechte italienische Gemälde – bei ihrer Anschaffung zeigte der ehemalige Besitzer keine glückliche Hand – die Wände schmückten, wird jetzt geweißt und installiert. Hier bekommt die Kultur der Sowjetdemokratie einen Ehrenplatz. Ein großes Durcheinander, alles ist mit Farbe bekleckert, Schutt liegt herum, nichts ist an seinem Platz, weder Mensch noch Überzeugung, Mobiliar, Lakai, Gebäude, gar nichts.
Herr Genosse H. schläft nicht, und wir sprechen über die Zukunft. Wie ich mir die Zukunft vorstelle? Ich erwidere, dass ich ans Christentum glaube; nicht an das religiöse, dogmatische, sondern an das ethische Christentum. Der marxistische Sozialismus für sich ist trostlos. Wenn wir der Menschenbrut nicht eine Art moralisches Pathos zum Leben geben können, wird Pestilenz auf Pestilenz folgen.
Bartók ist tot . Wenn wir an Mensch und Werk die höchsten Maßstäbe anlegen: war er unsere letzte wahrlich große Persönlichkeit.
Seit zwei Jahren erstmals wieder im Theater. Cocteaus Stück Nein, diese Eltern! wird aufgeführt. Während der Vorstellung spüre ich das erste Mal, dass es vielleicht doch wert war, all das grauenvolle und furchtbare Leiden, die Erniedrigungen erlebt zu haben. Seit Jahren kommt mir auch erstmals wieder die wahre Bedeutung dieses Wortes in den Sinn: Freiheit.
Was alles und was für Scheußlichkeiten mussten geschehen, damit auf einer ungarischen Bühne diese Worte, die aufrichtigen Worte eines Dichters über Familie, Moral, Instinkt, Leidenschaft, Bürgertum und Sinn erklingen können! Jetzt erst, in der Loge, fühle ich, während ich diesen Worten lausche, von wie tief unten wir hochgekrochen sind, in welcher Finsternis wir jahrzehntelang herumirrten. Überlegen wir doch nur, was vor einigen Jahren die Actio Catholica oder später irgendein Komitee der faschistischen Tugendwächter zu diesen Bühnen- und dichterischen Wahrheiten gesagt hätten! Woher kommen wir herangewankt, aus welcher Finsternis? … Heute Abend, im Theater, spüre ich, während ich die schrille Wahrheit von Cocteaus Stück vernehme, das erste Mal die ganze erlittene Verelendung.
Ein amerikanischer Film , dessen Drehbuch von Ferenc Molnár, László Vadnay , József Fodor und noch einigen Genies in gemeinsamer Kraftanstrengung geschrieben wurde. Der »Held« des Films ist ein Frack, mit dessen Trägern alle möglichen abenteuerlichen Geschichten passieren.
Es ist der zweite amerikanische Film, den ich nach der Belagerung sehe. Ich begegne der amerikanischen Filmproduktion mit immer größerem Misstrauen. Sie ist reich, voller Ideen; aber ihr fehlt die Seele. Sie ist nicht spontan. Nicht andächtig, allenfalls sentimental. Fromm, doch – im komplizierteren Sinne des Wortes – auch nicht tugendhaft. Was kann das reiche Amerika fortan der Welt geben? Welches Lebensgefühl? Und sind diese dawai! schreienden, rücksichtslosen, gewalttätigen Russen in ihrer Primitivität am Ende nicht doch menschlicher? …
Ich habe in Buda eine Wohnung gekauft und bemühe mich, sie in Ordnung zu bringen. Jetzt ist die Zeit sehr günstig, weil alles nur Hunderttausende oder Millionen kostet, aber eines Tages wird alles fünfhundert oder sechshundert Pengő kosten, doch es wird viel schwieriger sein, diese fünfhundert zu beschaffen als heute die Million.
Heute habe ich Gänsebraten zu Abend gegessen, weil eine Gans nur zwölftausend Pengő kostet. Vielleicht werde ich dann, wenn eine Mastgans acht Pengő kostet, genötigt sein, am Abend Bratkartoffeln zu essen.
Mittagessen mit A. , der jetzt zum Botschafter in Washington ernannt wurde. Diesen Posten hat er sich mit seiner Begabung, seiner Bildung, seinem Charakter und natürlich mit dem einjährigen Aufenthalt in Dachau verdient, welchen er mit einem Flecktyphus-Finale abschloss. Er besitzt jede Berechtigung und Begabung, an diesem wichtigsten Platz unser Botschafter zu sein, nämlich dort, wo über das Schicksal der Welt entschieden und wo auch das Schicksal Ungarns besiegelt wird. Doch er selbst zweifelt daran, ob er für diese Arbeit wirklich geeignet ist. An seinen Zweifeln spüre ich, dass sie nicht von falscher Bescheidenheit diktiert sind, sondern aufrichtiger innerer Unsicherheit entspringen. Ich kenne ihn nicht gut genug, beobachte ihn wie bei einem Examen. Er verfügt über viel Realitätssinn, hat eine gute Schule besucht, eine gute Kinderstube gehabt und ist ein unvoreingenommener Geist … doch ob er über dieses Plus verfügt, dieses menschliche
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