Unzeitgemäße Gedanken: Tagebücher 2 (German Edition)
seit Jahren haben sie kein Zuhause und leben wie die Tiere inmitten ständiger Arbeit und Lebensgefahr; ihr Hass auf die Deutschen ist grenzenlos; es ist nicht schwer, sich vorzustellen, was in diesen Tagen im besetzten Ostpreußen geschieht; und man kann es durchaus verstehen. Dass sie die Ungarn lieben, ist eine Legende; sie verachten uns, und sie verachten uns mit Recht; wer sich länger mit ihnen unterhält, trifft auf glühenden und begründeten Hass auf die Ungarn. »Warum seid ihr mit den Deutschen gegangen, um in unserer Heimat zu morden und zu plündern?«, fragen sie. Bei uns aber stecken die Russen die Dörfer nicht in Brand und ermorden auch die Zivilbevölkerung nicht; das ist die Wahrheit. Und alles andere, was wir als Folge der Besatzung ertragen müssen, ist unsere gerechte Strafe.
Der Krieg ist die größte Probe und Prüfung; alles wird offensichtlich, was der Mensch von sich und seinen Mitmenschen bisher nur vage vermutet hat oder zu wissen glaubte; alles zeigt sich in seiner nacktesten Wirklichkeit. Die Überlebenden leben nach dem Krieg nicht anders als vorher, denn der Mensch geht vergeblich durch die schwerste Prüfung, seine Natur ändert das nicht; wir leben aber fortan in einem anderen Bewusstsein … Wer einen großen Krieg überlebt – oder sogar zwei, wie meine Generation –, wird wirklich erwachsen; er hat die Menschen kennengelernt und ist nicht mehr gewillt, sich über irgendeine menschliche Erscheinung zu wundern.
Es war wieder einmal der Moskauer Mechaniker, der sagte: »Wir Russen können uns nur selbst befreien. Auch den Bulgaren, Rumänen und Ungarn kann niemand anderes die Freiheit bringen, nur sie selbst können das.« Wir waren einer Meinung.
Hinter diesem einfachen Begriff »Russische Einquartierung« steckt Material für einen umfassenderen Studienband in den Bereichen Volkskunde, Gesellschaft und Politik. In einer Woche habe ich – in unfreiwilligem Konkubinat mit zwanzig Russen lebend – mehr über Russland und seine Rassen erfahren als bisher aus vielen Büchern.
Am Vormittag sah ich auf der Landstraße lange Zeit zwei Hunden zu, wie sie glücklich und selbstvergessen im Schnee herumtollten. Diese von der Verzückung des Seins berauschte tierische Sorglosigkeit war der schönste Anblick, an dem ich mich seit vielen Wochen erfreuen konnte.
Wenn sich der Kommunismus in Richtung Demokratie entwickelt, dann entwickeln sich die kapitalistischen Demokratien, dem Gesetz der Polarität und Nivellierung folgend, in Richtung Sozialismus. Und wenn sich diese beiden Entwicklungsprozesse annähern, könnte dieses Aufeinandertreffen der Welt für lange Zeit gesellschaftlichen Frieden bringen. Vielleicht ist das und genau so viel der Sinn dieses fürchterlichen Krieges.
Heute Morgen und schon den ganzen Vormittag muss ich immerzu an das tote kleine Kind denken; ich sehe sein liebevolles kleines Menschengesicht, seine traurigen Augen. Warum soll irgendetwas auf der Welt überleben, übrig bleiben, wenn auch die kleinen Kinder sterben?
Jene rechte Gesellschaft, die irgendwie durch den Rost der Überprüfungen fällt, lügt sich durch den Strom, der voller Strudel ist, vom rechten zum linken Ufer hinüber und fängt nach kurzer Zeit an Stammtischen, in Kneipen und geselligen Runden das Raunen und Mauscheln von Neuem an; und weil in den Ruinen, die durch ihre Niederträchtigkeiten auf uns niederbrachen, das Leben wahrlich gefährlich und erbärmlich sein wird, können sie behaupten, dass »früher«, als sie regierten, doch alles schöner und besser gewesen sei. Dann dürfen wir nicht faul und nicht träge sein und müssen ihnen bei jeder Gelegenheit, egal mit welchen Folgen, ihre Sünden auf den Kopf zusagen.
Die Deutschen haben einen blutigen, entsetzlichen Streit mit der Welt begonnen, den Streit haben sie verloren, und jetzt werden sie bezahlen, bis in die siebte Generation; das ist ihre Sache. Die Russen sind, wie sie sind, sie haben uns nichts versprochen, wollten nichts von uns, wir haben ihnen den Krieg erklärt, und jetzt kommen sie mit dem Recht der Waffe zu uns, in ein besiegtes Land, das ihre Heimat ohne irgendeinen Rechtsanspruch angegriffen hat; wir können ihnen keine Vorwürfe machen.
Aber die Ungarn! Das einzige Land Europas, wo es in den kritischsten Augenblicken der nationalen Geschichte eine Szálasi-Regierung gab und wo sich Abgeordnete fanden, die bemüht waren, für diese Horde eine Komödie der Legalität aufzuführen! Nur um ihre Beute noch ein wenig
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