Unzeitgemäße Gedanken: Tagebücher 2 (German Edition)
Krieg erklärt, wir Ungarn; wir eilten an der Seite der Deutschen nach Woronesch, nach Kiew, um Gräueltaten zu begehen; und die Russen haben recht, wenn sie auf jede Beschwerde antworten: »Und was haben die ungarischen Soldaten in unseren Dörfern und Städten angerichtet?« Wir, die wir persönlich unschuldig an diesen Verbrechen sind, bezahlen die Rechung der Schuldigen. Jeder, der lamentiert, ist ein Hundsfott; zahlen, bitte!
Das kleine Haus ist jetzt schon ein Zwischending zwischen Stall, Kaserne und Werkstätte; Tag und Nacht fahren weitere kaputte, reparaturbedürftige Autos im Garten vor, die Chauffeure hausen hier für eine Weile, essen, spucken und rauchen im Zimmer mit den anderen, den anderthalb Dutzend ölverschmierten Mechanikern, und die Zahl der ständigen Logiergäste wird immer größer. Auch die Küche können wir nicht mehr benutzen, weil dort Arbeitsdienstler tagelang Kartoffeln für die Feldküche schälen. Der Dachboden wurde aufgebrochen und geplündert, zum Badezimmer ist uns der Zutritt verboten, da dort eine Werkstattkammer eingerichtet wurde, im Zimmer im ersten Stock haben sie das Bett zersägt, weil sie für irgendetwas ein einziges Brett brauchten; jede kleine Habseligkeit bekommt Beine. Der Brunnen ist nicht mehr zu benutzen, weil der Eimer in die Tiefe gestürzt ist; sie haben einen anderen, öligen Eimer geholt, aber auch der ist abgesoffen; jetzt liegen zwei Eimer im Brunnen, und es gibt kein sauberes Wasser. Das kabinengroße Zimmer, das man uns überlassen hat, wäre auch für zwei Personen eng, wir schlafen dort zu viert – zwei auf dem Boden –, in schmutziger Bettwäsche, weil wir keine Möglichkeit haben, sie waschen zu lassen; hier essen, kochen, schlafen wir, hier sitzen wir an den langen Abenden im Schein einer flackernden Ölfunzel und hören den Lebenszeichen der Menschenmeute zu, die im Nebenzimmer singt, das Grammofon spielen lässt, Türen schlägt, isst, schnarcht und krächzt. Von Zeit zu Zeit erscheint ein Offizier und fragt, ob »alles in Ordnung« ist? Ich versichere ihm, alles sei in Ordnung. Und das meine ich ehrlich; denn all das wird nicht aus menschlicher Gehässigkeit gemacht, sondern entspringt einer Situation, die wir Ungarn heraufbeschworen, herbeigeführt haben. Deshalb haben wir sie schweigend und ohne Klagen zu ertragen.
Deshalb darf man, was auch noch alles passieren mag, den Russen nicht böse sein. Aber ich spüre, dass meine Seele sich allmählich mit unauslöschlichem Hass gegen jene Ungarn füllt, die aus Habgier, Sittenlosigkeit, Unbildung und Lotterhaftigkeit die Nation und die Menschen so weit gebracht haben. Ich habe nur mit den Ungarn abzurechnen. Und diese Abrechnung wird kommen.
Ich wundere mich in diesen Tagen über meine Nerven, die stärker sind, als ich dachte. Kritische Stunden gibt es natürlich immer wieder; dann tröste ich meine Umgebung, so gut ich kann; zum Beispiel damit, dass sie doch an die Deportierten, die Internierten denken sollten und an jene, die die Belagerung in Budapest erleben. Dieser Hinweis hilft immer.
Der Mensch wird mit seinem Körper, mit seinen Lebensumständen bald zum Tier; was aber passiert in seiner Seele? Vergisst die Seele ebenso rasch wie der Körper? Was geschieht jetzt in meiner Seele? Erinnert sie sich noch an Literatur, an die Welt, an Probleme, an Gott? An dieses Plus , nach dem sie vor Kurzem noch so rastlos geforscht hat? Bleibt von alledem etwas für die Seele übrig? Wird sie stärker, widerstandsfähiger? Ich denke schon.
Die gesellschaftliche Revolution ist nichts wert, wenn mit ihr nicht auch die andere, die innere, seelische Revolution einhergeht, die den Menschen vom Joch des Egoismus, der Dummheit und der Habgier befreit. Eine solche Revolution ist aber nicht in Sicht, schließlich sind Egoismus, Dummheit und Habgier organische Elemente der Materie Mensch.
»Der ungarischen Führungsschicht wird’s nach dem Krieg schlimm ergehen«, sagte am Abend der Mechaniker aus Moskau. Er ist einer der Intelligenteren, ein überzeugter Kommunist. Und er glaubt, dass nur die Arbeiterklasse zur Führung der Gesellschaft berufen ist.
Es fehlen mir die Worte, deshalb konnte ich ihm nicht sagen, dass die ungarische Herrschaftsschicht, die im letzten Vierteljahrhundert das Land gelenkt und in diese Lage gebracht hat, wahrhaftig jedes Recht auf die Führungsrolle verspielt hat, ihr Schicksal muss man nicht beklagen. Aber ebendiese Schicht hat – bewusst oder unbewusst – auch dafür gesorgt,
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