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Unzeitgemäße Gedanken: Tagebücher 2 (German Edition)

Unzeitgemäße Gedanken: Tagebücher 2 (German Edition)

Titel: Unzeitgemäße Gedanken: Tagebücher 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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Büchern gibt es überraschend wenige, ohne die ich nicht leben will.
    Eine schlaflose Nacht. Doch in dieser dichten Dunkelheit dämmert irgendwas.
    Alles ist bisher anders verlaufen, als ich es mir vorgestellt habe; dennoch hat sich alles irgendwie entwickelt, wie ich es mir gedacht und stark gewünscht hatte. Der Zufall, dank einer Reihe von Zufällen haben sich schließlich immer Offenbarungen eingestellt und meine Pläne verändert; doch auch der Zufall hat an meiner zwangsläufigen Entscheidung – die ich nicht aufgrund einer plötzlichen Idee getroffen habe, sondern die mir von einem tieferen Lebenswillen suggeriert wurde – nichts geändert. Nur solche Pläne kann man in der Praxis verwirklichen, die nicht von einer Absicht formuliert sind, sondern einem ganz unvermittelt vom Lebenstrieb eingeflüstert werden. In solchen Augenblicken trifft der menschliche Wille auf den göttlichen, und aus diesen Plänen wird Wirklichkeit.
    Heute Nacht dachte ich, hörte ich, fühlte ich mit aller Kraft meiner Seele und meines Körpers: zwei Jahre. Wenn ich den Krieg überlebe, suche ich mir in Buda oder in Pest anstelle der zerstörten Wohnung irgendeinen Schlafplatz. Zwei Jahre in absoluter Einsamkeit leben. Mit aller Kraft arbeiten, diese zwei Jahre lang. Irgendwie so:
    Kein Buch veröffentlichen. Nicht für Zeitungen schreiben, höchstens einige Zeilen und nur wenn das, was ich zu sagen habe, wichtig ist. Für die Schublade arbeiten, zwei Jahre lang. Die Schwester zu Ende bringen. Die Beleidigten schreiben, alle vier Bände . Der erste Band ist fertig, ein Drittel des zweiten habe ich letztes Jahr geschrieben, die deutsche Besetzung hat aber auch diese Arbeit unterbrochen. In diesen zwei Jahren den Kampf schreiben und die Bühnenversion von Gastspiel .
    In diesen zwei Jahren mit aller Kraft Englisch lernen. Und dann mit meinen Manuskripten und möglichst perfekten Englischkenntnissen in den Westen gehen. Mitteleuropa wird für einen Menschen meines Schlages lange kein Zuhause sein. Im Westen finde ich vielleicht noch ein wenig von dem, was einmal der Geist Europas war.
    Dies ist mein Plan, für ihn muss ich leben. Ich werde dann siebenundvierzig Jahre alt sein; wenn ich gesund bleibe, hat es in diesem Alter noch Sinn, etwas Neues zu beginnen. Hier gibt es für mich nichts mehr anzufangen. Und in zwei Jahren hat sich die Welt vielleicht so weit beruhigt, dass ich auf irgendein Schiff klettern kann.
    Was das Leben aus diesem Plan machen wird, kann ich nicht wissen. Doch ohne einen Planungsrahmen wie diesen kann man nicht leben; und dieser Zweijahresplan war, wie er mir heute Nacht durch den Kopf fuhr und Form annahm, überzeugend wie eine Vision.
    Zudem ist dieser Winter noch eine Art zusätzlicher Strafe, etwa so, wie wenn man einen zum Tode Verurteilten zu allem Überfluss vor der Hinrichtung noch zu einigen Monaten Dunkelhaft verurteilt, bei Wasser und Brot.
    L. und Z. und zwei Frauen aus dem Dorf schrubben schon den fünften Tag Wände, Türen, säubern den Boden, waschen die Möbel mit Lauge ab; und im kleinen Haus zeichnet sich schon eine Art Ordnung ab, Spuren einer gewissen Sauberkeit werden da und dort sichtbar … Den Lauf des Lebens können nur die Frauen im Gleichgewicht halten. Die Männer schaffen oder zerstören. Frauen bewahren; dazu sind die Männer nicht imstande. Die Frauen machen jene unsichtbare Arbeit, ohne die es kein Leben gibt, nur Abenteuer. Freilich ist das große Abenteuer, das Schöpfen und Schaffen, der höchste Sinn des Lebens; doch ohne die Arbeit der Frauen kann man nicht leben.
    Die Männer zeugen – das ist das Abenteuer –, die Frauen gebären; das ist das Leben. Jetzt, da die Welt völlig verwildert und animalisch geworden ist, können wir uns nur mehr von den Frauen eine Art Menschlichkeit erhoffen.
    Nach einem Jahr des Verkriechens, nach wilden Gefahren beginnt L. nun wieder, unter Menschen zu leben, sich freier zu bewegen, auf die Straße zu gehen und in Läden einzutreten, sich mit Menschen unbefangen zu unterhalten; und die Menschen, Russen, Dörfler, spüren alle die Zartheit und Vornehmheit ihres Wesens und wenden sich ihr vertrauensvoll zu.
    Beim Ordnen der Bücher kommt mir der Band Buddenbrooks unter; ich blättere darin und erinnere mich, während ich die Szene lese, in der Herr Permaneder im Lübecker Haus erscheint und unter s is’ halt a Kreiz -Seufzern die feine alte Frau Konsul Buddenbrook, die nichts unversucht lässt, die Ungezwungenheit des süddeutschen Gastes

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