Unzertrennlich
eine Rede gehalten, das Fest war gelungen.
Vor einigen Wochen wollte Ruth Hanna besuchen. Als sie klingelte, öffnete Lars die Tür, seine Frau sei beim Gynäkologen, sie komme aber gleich wieder. Hanna war im siebten Monat schwanger, sie hatte bislang fünfzehn Pfund zugenommen. Sie kam eine Stunde später nach Hause. Lars saß mit Ruth in der Küche, er hatte eine Flasche Wein geöffnet und erzählte gerade eine witzige Geschichte über seinen Schwiegervater. Ruth, im kurzen Rock mit eng anliegendem Pullover, lachte schallend und stand auf, um Hanna zu umarmen.
Die hielt sie mit steifen Armen und ernstem Gesicht auf Abstand.
»Ach Ruth, ich wollte dir was zeigen, das passt gut. Kommst du mal mit?«
Ruth folgte der Freundin ins zukünftige Kinderzimmer, wo Hanna sich zu ihr umdrehte und diese Sätze sagte, die Ruth seitdem dauernd im Ohr hatte:
»Hör zu. Ich weiß nicht genau, woran die Beziehung zwischen dir und Karsten gescheitert ist, aber ich habe keinen Bock darauf, dass du jetzt meinen Mann besuchst, während ich außer Haus bin. Du hast auch auf der Hochzeit mit ihm geflirtet, das habe ich genau gesehen, ich habe nichts gesagt, weil ich keinen Stress haben wollte. Wir haben mit unserer Schwangerschaft wirklich andere Dinge zu tun, als allein stehende Frauen zu betüddeln. Haben wir uns verstanden?«
Ruth starrte ihre beste Freundin an. Sie verstand die Welt nicht mehr. Sie kannte Lars seit Jahren, Hanna war ihre Freundin. Ihre Erklärungsversuche prallten an Hanna ab, die sie mit eisiger Mine ansah.
»Es ist mir egal, wie lange du Lars schon kennst. Er ist
mein
Mann.«
Als Ruth wieder zu Hause war, kamen ihr vor Wut und Fassungslosigkeit die Tränen.
Sie zerschnitt den Streifen mit den vier Passbildern aus dem Fotoautomaten, mit dem sie mit Hanna fünfzehn Jahre zuvor am Kölner Hauptbahnhof für zwei Mark ihre Frauenfreundschaft dokumentiert hatte, und dachte an Christine.
Hanna hatte sich seither nicht mehr gemeldet, Ruth hatte versucht, jeden Gedanken daran zu verdrängen. Und jetzt hatte sie diesen Fragebogen ausfüllen müssen, bei dem ihr ständig Hanna einfiel. Wie blöd war sie eigentlich, dass sie Hannas Kleinmädchendenken nicht bemerkt hatte? Als ob Lars ihr Typ wäre, mit diesem komischen Bart und seiner Plauze.
Ruth stand auf, um ihre Zigaretten zu suchen. Früher lagen sie immer im Einbauschrank in der Küche. An der Küchentür hielt Ruth inne. Ihr war eingefallen, dass dieser Schrank in Karstens Küche stand. Sie ging in ihr Arbeitszimmer und zog die Schubladen in ihrem neuen Schreibtisch auf, in der vierten hatte sie Erfolg. Also bitte, wozu brauchte sie die alte Ordnung?
Sie ließ sich in einen Sessel fallen, zündete sich die Zigarette an und dachte über alte Ordnungen nach. Seit sie Markus getroffen hatte, war ihre bisherige Ordnung total durcheinander geraten. Sie hatte eine neue Wohnung in einem anderen Stadtteil, aus ihrer besten Freundin Hanna war eine misstrauische Rivalin geworden und Gabi hatte sich verändert, sie erzählte Ruth nichts mehr und hatte anscheinend Geheimnisse vor ihr. Markus hatte sich als oberflächlicher Egomane entpuppt, er hörte ihr nie richtig zu, wollte Spaß und Party, außerhalb eines Bettes konnte sie eigentlich nicht viel mit ihm anfangen.
Ihr Job langweilte sie, das Stadtmagazin brachte ewig dieselben Themen, hippe Veranstaltungen, angesagte Locations, tolle Leute, richtige Bücher, richtige Musik, richtige Filme. Und zu allem Überfluss organisierte sie noch ein Überraschungsfeuerwerk für alte Freundinnen. Wenn es nicht so bitter wäre, könnte man auch drüber lachen.
Ruth setzte sich gerade hin. Es ging ihr eigentlich gar nicht so schlecht. Karsten fehlte ihr komischerweise überhaupt nicht, anscheinend hatte sie sich jahrelang etwas vorgemacht, sie merkte jetzt, wie wenig er mit ihrem Leben zu tun gehabt hatte. Ihre Wohnung war schön, Ruth fühlte sich wohl darin, hatte von Anfang an das Gefühl von Freiheit gehabt. Markus hatte sich zwar seit drei Wochen nicht mehr gemeldet, was Ruth aber mehr erleichtert hatte.
Hanna und sie hatten sich sowieso nicht mehr oft gesehen, wenn sie sich nicht so lange gekannt hätten, wären sie vermutlich überhaupt nicht mehr befreundet gewesen.
Und so drehte sich ihr ganzes Leben.
Sie zündete sich eine zweite Zigarette an und drückte sie sofort wieder aus. Eigentlich rauchte sie nicht gern, früher hatte sie sich nur Zigaretten gekauft, weil sowohl Hanna als auch Karsten Raucher hassten.
Weitere Kostenlose Bücher