Unzertrennlich
Stattdessen griff sie zu ihrem Adressbuch und suchte die Telefonnummer von Christine. Sie hatte ihr Leben irgendwie im Griff, obwohl sie keinen Mann hatte und trotz ihrer distanzierten Einstellung zu Freundinnen. Ruth wollte jetzt Ablenkung. Oder Bestätigung, je nachdem.
Ruth wählte die Nummer und zählte drei Freizeichen, bis Christine sich meldete.
»Hallo Christine, ich wollte mal testen, ob das Vorurteil stimmt, dass Singlefrauen freitagabends immer telefonieren.«
»Dann wäre ja hier besetzt gewesen. Ich telefoniere nicht, ich stehe am Bügelbrett und bin fleißig.«
Ruth pfiff leise. »Meine Güte, wie spannend. Ich hasse Bügeln. Das macht entweder meine Mutter oder ich bringe die Sachen weg.«
Christine schaltete das Bügeleisen aus. »Meine Mutter lebt auf Sylt, die kommt nicht extra. Wolltest du eigentlich mit mir übers Bügeln sprechen oder gibt es noch ein anderes Thema?«
Ruth antwortete: »Ach, mir fiel gerade so ein bisschen die Decke auf den Kopf. Und da dachte ich, vielleicht hast du Lust, einen Wein mit mir zu trinken, wir wohnen ja jetzt um die Ecke. Da geht so was doch spontan.«
Christine dachte nur kurz nach. »Ehrlich gesagt hasse ich Bügeln auch. Gut. Treffen wir uns in einer Viertelstunde bei Franco.«
Bei Franco war viel los. Als Christine das Lokal betrat, winkte Ruth ihr schon vom Tresen aus zu.
»Hallo, die Tische waren alle besetzt. Aber hier geht es doch auch, oder?«
Christine winkte dem schönen Franco zu, der ihr eine Kusshand zuwarf und auf den Tresen deutete. »Alle Tisch noche besetzt, werde gleich eine frei, dann ihr könnt setzen, solange ihr Prosecco von Haus, bene?«
Christine nickte und schob sich neben Ruth auf einen Barhocker. »Alles in Ordnung, Franco.« Sie sah Ruth von der Seite an. »Und? Erzähl.«
Ruth versuchte, gleichgültig zu wirken. »Nichts Besonderes. Ich wollte nur einen Wein mit dir trinken, mehr nicht.«
»Na«, meinte Christine skeptisch, »ich hatte das Gefühl, du warst ein bisschen bedrückt am Telefon.«
Bevor Ruth antworten konnte, kam Franco zu ihnen.
»So, gerade Tisch in Ecke bezahlen, dann ihr sitzen schön. Ich bringen Prosecco an Tisch.«
Es vergingen weitere fünf Minuten, bis Ruth und Christine sich gegenübersaßen.
Ruth vertiefte sich eine Weile in die Speisekarte, dann klappte sie sie plötzlich zu. »Ich glaube, ich möchte dir doch was erzählen. Ich habe da vor ein paar Wochen eine Sache erlebt, die mich ziemlich zerlegt hat. Was mich übrigens sehr ärgert.
Ich habe dir doch mal von Hanna erzählt, meiner ältesten Freundin, die im Mai geheiratet hat.«
Christine nickte und hörte Ruth zu, die die Szene mit Hanna erzählte, dann ausholte und von der Hochzeit berichtete, von Lars und schließlich von ihrem Abgang.
Als Ruth geendet hatte, war die Fassungslosigkeit von damals wieder ganz präsent. Sie hob den Kopf und sah Christine an, die zu ihrer Verblüffung leise lachte.
»Entschuldige, Ruth, aber ich habe es schon immer gesagt, Frauen sind doch ein komisches Volk.«
»Wieso, wie meinst du das? Ich fand das ganz furchtbar.«
Christine bemühte sich um einen ernsten Ausdruck. »Mich wundern solche Geschichten über Frauen nicht so richtig. Wir haben uns im Frühjahr mal über Freundinnen unterhalten, erinnerst du dich? Ich glaube sogar, dass das an dem Tag war, an dem du von Hanna und der Hochzeit erzählt hast. Ich weiß nicht mehr, was ich damals dazu gesagt habe, wahrscheinlich nicht viel.« Sie lachte wieder, diesmal über sich selbst. »Aber ich kann dir noch sagen, was ich gedacht habe. Dieser Scheiß mit der besten Freundin. Meine war meine Trauzeugin, ich übrigens auch ihre, danach noch die Patentantennummer, weil man ja die beste Freundin ist, und anschließend hat sie was mit meinem Mann angefangen. Eine andere enge Freundin fand meinen Mann von Anfang an doof, die habe ich deshalb aus meinem Leben gekickt. Weißt du, ich kriege heute Pickel, wenn mir Frauen von ihren besten Freundinnen vorschwärmen. Es ist genauso eine Fassade und ein Mythos wie der Satz: ›Wir sind seit dreißig Jahren glücklich verheiratet.‹«
Ruth war skeptisch. »Aber das kann es doch geben. Wenn Hanna ihre Hormone anders im Griff hätte, wäre es ganz anders gekommen. Sie hat sich nur so verändert.«
Christine sah sie nachdenklich an. »Wenn ich mit jemandem eine Beziehung anfange, dann muss ich aushalten können, dass der sich im Lauf der Zeit verändert, egal ob das ein Mann oder eine Freundin ist. Es wäre ja
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