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Rohr und lausche dem Widerhall, als sie mit einem Ping von den Ventilatorblättern abprallen. Es ist ein schönes, lautes Geräusch, dessen Echo sicher durch das ganze Gebäude dringen wird.
Während ich den Kies zu handlichen Häufchen zusammenscharre und eine Handvoll Schotter nach der anderen durch das Belüftungsrohr rie-seln lasse, folge ich unbewusst einem trägen Rhythmus. Mit der Zeit werden mir die Hand-flächen dabei wund. Bald muss ich in größerer Entfernung vom Kamin Steinchen zusammen-schieben, eine Hand an der Lende, vorgebeugt wie 204
ein Schimpanse, die Knie gespreizt, um meine strapazierten Waden zu entlasten.
Ich kann hören, dass ich dem armen Ventilator wirklich schwer zu schaffen mache. Das Prasseln der Kieselsteine, die auf seinen Flügeln aufschla-gen, klingt wie das Gewehrfeuer an einem Schieß-
stand, wird jetzt aber schwächer. Hin und wieder ist ein zweites Prasseln zu hören, wenn Kieselsteine in die Ventilatorblätter zurückgeschleudert werden. Ich weiß nicht, was ich tun werde, wenn der Ventilator den Geist aufgibt, ehe mich jemand hier oben entdeckt hat.
Wie sich herausstellt, habe ich in dieser Hinsicht nichts zu befürchten, denn die schwere Feuertür hinter dem Kamin schwingt plötzlich auf und eine ziemlich dicke Wartungstechnikerin der Klinik tritt aufs Dach. Sie trägt einen Overall und jede Menge Werkzeug- und Patronengürtel. Vom Aufstieg ist ihr Gesicht rot angelaufen, so dass sie ein bisschen wie eine dicke rotbackige Bäckerin oder Süßwarenhändlerin aus dem Märchen aussieht. Sie verstärkt diesen Eindruck, indem sie ihre plumpen Hände auf ihren gewaltigen Busen legt und bei meinem Anblick japst.
Mir wird klar, dass ich bestimmt ziemlich ab-stoßend auf sie wirken muss: Ich bin blutver-schmiert, habe Sonnenbrand und einen wirren Blick, stehe gebückt wie ein Affe da und mein ver-schorfter Kiefer steht nicht nur in einem verrück-205
ten Winkel zu meinem Gesicht, sondern lässt mich auch verrückt erscheinen. Ganz zu schweigen davon, dass ich fast nackt bin, was sicher nicht ihrer Vorstellung von einer netten Unterhal-tungseinlage entspricht. »He«, sage ich zur Begrü-
ßung, »ich, äh, hänge hier fest, weil die Tür zugefallen ist.« Durch das Sprechen platzt die Wunde an meinem Kiefer wieder auf und ich spüre, wie mir erneut Blut am Hals hinunterrinnt. »Leider hab ich nur diese eine Chance, mich bei Ihnen vorzustellen, und ich möchte nicht, dass Sie einen falschen Eindruck von mir bekommen. Wissen Sie, eigentlich bin ich gar nicht verrückt. Mir war nur langweilig, deshalb hab ich mich ein bisschen um-geschaut, bin hier gelandet, hab auf mich aufmerksam zu machen versucht und hatte ein paar kleine Unfälle … Es ist eine lange Geschichte. He!
Mein Name ist Art. Und wie heißen Sie?«
»Oh, mein Gott!« Ihre Hände fahren zu dem Hammer am Werkzeuggurt, den sie sich um den dicken Bauch geschlungen hat, und umklammern ihn fest.
»Bitte!« Ich strecke die leeren Hände so aus, dass sie sie sehen kann. »Bitte keine Angst haben.
Ich bin nur verletzt, nichts weiter. Ich bin hier raufgeklettert, um ein bisschen frische Luft zu schnappen, und die Tür ist hinter mir zugefallen.
Ich bin ausgerutscht, als ich den Schornstein umgekippt habe, um auf mich aufmerksam zu ma-206
chen. Ich bin nicht gefährlich. Bitte helfen Sie mir nur zurück in den zwanzigsten Stock – ich glaube, ich brauche eine Bahre und Träger. Mein Rücken macht mir ziemlich zu schaffen.«
»Caitlin«, sagt sie plötzlich.
»Wie bitte?«
»Ich heiße Caitlin.«
»Hallo, Caitlin.« Ich strecke die Hand aus, aber sie verzichtet darauf, die zehn Meter zu mir zurückzulegen, um mir die Hand zu schütteln. Ich überlege, ob ich auf sie zugehen soll, lasse es aber lieber.
»Sie wollen doch nicht hier runter springen, oder?«
»Springen? Um Gottes willen, nein! Ich hänge hier nur fest, das ist alles.«
Lindas dämlicher Freund hat sich ausgiebig mit Roger Fishers Verhandlungs- und Konfliktlösungs-techniken befasst, mit unterschwelligen Taktiken, um Harmonie und Übereinstimmung zu erzeugen, und ähnlichem Quatsch. Einmal haben Linda und ich einen ganzen Nachmittag am Kinder-karussell im Riverbank State Park oben in Manhattan damit verbracht, uns über seine New-Age-Theorien lustig zu machen. Als besonders witzig ist mir die Synchronisierung des Atmens in Erinnerung geblieben: »Was du bedrängst, widerstrebt dir, deshalb musst du Widerstand in Beistand verwandeln«, rezitierte Linda
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