Urban Gothic (German Edition)
weiter. Rings um ihn erhoben sich in der Finsternis explosionsartig Gebrüll, Geheul und erschrockene Aufschreie. Durch die Höhle hallten Schritte, die wie Donnergrollen oder Schüsse klangen. Javier hoffte, dass sie in all dem Durcheinander seine Geräusche nicht von ihren eigenen unterscheiden konnten.
Eine Gestalt sprang vor ihn – ein menschengroßer schwarzer Fleck in der Dunkelheit. Der Schemen wollte ihn angreifen und Javier rammte ihm den Ellenbogen in die Kehle, als er daran vorbeirannte. Die Gestalt grunzte und fiel zu Boden. Javier hielt nicht inne, um nachzusehen, ob sie sich wieder aufrappelte. Stattdessen beschleunigte er seine Schritte weiter. Er biss sich auf die geschwollenen Lippen, wodurch frische Schmerzen darin aufflammten, die ihn anspornten. Blut sickerte in seinen Mund. Sein Puls raste. Unter den Rippen entflammte schmerzhaftes Seitenstechen. Er versuchte, nicht darauf zu achten, sich ganz auf Flucht und Atmung zu konzentrieren. Das Grunzen und Schnattern schwoll an, klang jedoch mittlerweile so, als befinde es sich hinter ihm. Er nahm alle Kraft zusammen und setzte zu einem Zwischensprint an.
In jenem Moment spielte Javier erneut mit dem Gedanken, umzukehren – sich hinter die Kreaturen zu schleichen und zurück zur Kanalisation zu laufen. Dort könnte er dem Fluss folgen und darauf spekulieren, einen Ausgang zu finden. Wieder schämte er sich für den Gedanken. Es entsetzte ihn geradezu, dass er auch nur eine Sekunde lang darüber nachdachte, die anderen im Stich zu lassen.
Javier hörte, dass etwas neben ihm entlanghopste. Er schwenkte nach rechts und erblickte die schattigen Umrisse einer gekrümmten Wand vor sich, konnte jedoch nicht schnell genug gegensteuern. Seine Schulter schabte schmerzhaft über die schartige Oberfläche. Er spürte, wie sein T-Shirt zerriss, gefolgt von seiner Haut. Javier empfand ein heißes Aufbranden von Schmerzen, gleich darauf ein warmes Rinnsal, das seinen Arm hinablief. Er verdrängte beides und stürmte weiter in die Dunkelheit. Er hatte keine Möglichkeit, herauszufinden, wie tief der Kratzer war oder wie schwere Verletzungen er sich zugefügt hatte, doch die Schmerzen ließen ihn seine Notlage vorübergehend vergessen. Seine Verfolger brüllten, als wollten sie ihn wieder daran erinnern.
Kamen sie näher? Er konnte es nicht recht abschätzen. Es hörte sich fast so an, allerdings verzerrten die Finsternis und die Struktur der Höhle die Geräusche. So oder so, diese Geschichte musste bald enden. Lange konnte er so nicht mehr weitermachen. Es hieß kämpfen, verstecken oder sterben, und Javier war nicht länger sicher, ob es ihm gelingen konnte, sich zu verstecken, ohne von den Monstern entdeckt zu werden.
Damit blieben nur zwei Optionen, und eine davon empfand er schlicht als inakzeptabel.
Javier blickte über die Schulter zurück und konnte hinter sich schattige Umrisse ausmachen. Sie hatten sich tatsächlich deutlich genähert.
Er wirbelte herum und stürmte direkt auf sie zu.
»Kommt schon, ihr Pisser!«
Er vermochte nicht zu sagen, mit wie vielen er es zu tun hatte. Einige rannten weg, vermutlich erschrocken von seiner plötzlichen Attacke. Andere blieben stehen und erwarteten ihn. Eine dritte Gruppe kam ihm entgegen und Javier lachte laut auf, als sie sich dabei gegenseitig umrannten. Er schlug um sich und trat aus, wusste nur zu gut, dass die geringste Pause oder der kleinste Fehler zu seinem Tod führen konnte. Ungeachtet dessen schöpfte er aus dem schlichten Verlangen, so viele Gegner wie möglich zu verletzen, bevor er scheiterte, eine gewisse Ruhe.
Falls er scheiterte.
Mit der linken Faust traf er einen seiner Gegner – eine weibliche Kreatur – seitlich am Hals. Ihre Brüste schaukelten in der Dunkelheit und streiften ihn. Die Frau hustete heftig und fasste sich an die Stelle, an die er geschlagen hatte. Javier bekam es kaum mit. Er nahm sie nur als flüchtigen Schemen wahr, als Ziel, das nach dem Treffer keine Rolle mehr spielte. Die anderen näherten sich ihm, drängten sich untereinander, streckten sich nach ihm. Er stieß sie zurück, verlagerte das Gewicht, sprang hoch und vertraute darauf, dass er seine Gegner mit diesem Manöver überraschte – was auch gelang. Als die Kreaturen auseinanderstoben und verwundert aufschrien, traf Javiers Absatz Haut und Knochen. Etwas brach unter seinem Schuh. Sein Grinsen wurde breiter. Das Opfer – ob männlich oder weiblich, konnte er nicht erkennen – prallte gegen drei der anderen
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