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Urbat - Der verlorene Bruder: Roman (German Edition)

Urbat - Der verlorene Bruder: Roman (German Edition)

Titel: Urbat - Der verlorene Bruder: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bree Despain
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wie Don Mooney, dessen Größe ich immer mit einem Grizzlybären verglichen hatte, dabei aber schlank. Er war von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet, was ihn zunächst ziemlich düster wirken ließ. Doch dann überkam mich plötzlich eine schreckliche Erkenntnis, als ich das weiße Viereck an seinem schwarzen Kragen entdeckte. Es war der Kragen eines Pastors, so wie mein Dad ihn manchmal bei der Arbeit trug.
    »Oh nein!« Ich ließ seine Kehle los und sprang, so schnell es ging, von ihm herunter. Dann griff ich nach dem Mondsteinanhänger, der an meinem Hals baumelte, und ließ die warme, beruhigende Kraft auf mich einwirken. »Es tut mir leid, Herr Pastor. Es tut mir wirklich leid.« Hitze schoss mir ins Gesicht. »Ich weiß gar nicht, was in mich gefahren ist, Herr Pastor … ich dachte nur … dass …« Ichbrachte den Satz nicht zu Ende. Wie konnte ich überhaupt erklären, was ich diesem Mann gerade angetan hatte?
    Also, ich meine, ich hatte einen Geistlichen angegriffen – in einer verdammten Kirche! Meine Wut war von einem Gefühl der Peinlichkeit abgelöst worden, das sich alsbald in Scham verwandelte.
    »Es tut mir leid«, wiederholte ich. Konnte ich mich überhaupt genügend entschuldigen? »Ich hab Sie hier drinnen mit diesem Messer gesehen …« Ich deutete auf den silbernen Dolch, der mit der Klingenspitze im Fußboden feststeckte. Der Griff ragte in die Luft. Ein kleiner Stofffetzen war neben dem Messer zu Boden geflattert, als ich es dem Mann aus der Hand geschlagen hatte. Es war Dons berüchtigtes Messer. Das Messer, das ich Daniel in die Brust gerammt hatte. Das Messer, das ich benutzt hatte, um den Fluch zu durchbrechen. Ich hatte es ein paar Wochen später in der Pfarrkirche gefunden, dann hier in Dons Wohnung gebracht und zu seinen anderen Sachen gelegt, dort, wo es hingehörte.
    »Ich dachte, Sie wären ein Einbrecher. Ich dachte, Sie würden versuchen, dieses Messer zu stehlen.« Der Dolch war alt, aus reinem Silber gefertigt, und ich hatte immer angenommen, dass er einen guten Preis erzielen könnte, wenn sich ein interessierter Käufer fände. Doch Pastoren brechen nicht in Kirchen ein und stehlen Gegenstände. Es musste eine andere Erklärung geben.
    Der Mann lächelte wieder. Dann langte er mit einer schnellen Bewegung nach unten, hob den Stofffetzen auf, wickelte ihn um das Heft des Dolchs und zog das Messeraus dem Fußboden. Mit abschätzendem Blick betrachtete er die Waffe, so wie ein Sammler eine Antiquität inspiziert. »Wie kann ich etwas stehlen, was mir bereits gehört?«
    »Wie bitte?« Ich musterte ihn erneut, den Körper eines jungen Mannes mit den Augen eines alten Sehers. Ich bemerkte, wie behutsam er das Messer in der Hand hielt, vorsichtig darauf bedacht, den Stoff zwischen Haut und Dolch zu belassen. Mir fiel nur ein einziger Grund ein, warum dieser Mann Angst haben könnte, Silber zu berühren. Sobald dieser Gedanke in meinem Hirn angekommen war, zogen sich meine Muskeln zusammen. Dieser Mann war kein Pastor. Er war nicht einmal ein Mensch.
    Dann drängte sich ein weiterer Gedanke in den Vordergrund, der mich vor Angst zittern ließ.
Sie sind hinter dir her. Er lässt dich glauben, dass du ihm vertrauen kannst, aber das darfst du nicht
, klang Judes Stimme in meinem Kopf.
    »Es tut mir leid«, sagte ich noch einmal und wich zurück in Richtung Tür. »Ich muss jetzt gehen.« Ich stieß vor einen Stuhl und versuchte, ins Gleichgewicht zu kommen, ohne allzu hektisch zu wirken. Ich wusste nicht, wieso ich überhaupt auf den Gedanken gekommen war, diesen Raum zu betreten; mit diesem Mann konnte ich es nicht aufnehmen. Mag schon sein, dass ich mich am Abend zuvor auf ein paar Freaks eingelassen hatte und heute mit voller Kraft – und ohne zu schwächeln – gelaufen war. Aber das war gar nichts, wie mir jetzt klar wurde. Egal, welche Kräfte ich heraufbeschwören konnte – sie waren nichts im Vergleich zu dem, was er mit mir machen konnte.
    Dieser Mann war gefährlich.
    Dieser Mann war ein Werwolf.
    Dieser Mann war …
    »Gabriel!«
    »Was?« Ich wirbelte zu der geöffneten Tür herum.
    Dort stand Daniel, mit offenem Mund. Er ließ die Motorradschlüssel in der Türöffnung fallen und stürzte auf den Mann mit dem Messer zu. Doch es war kein Angriff. Der Mann fasste nach Daniels Arm – und die beiden umarmten sich. Es war eine flüchtige Umarmung, aber immerhin.
    »Daniel, mein Junge!« Der Mann tätschelte Daniels Rücken. »Du siehst viel besser aus als zu Weihnachten.

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