Urbat: Die dunkle GabeRoman (German Edition)
Wolf verwandeln.«
»Halts Maul!« Jude schlug ihm mit dem Messerschaft ins Gesicht und hinterließ eine lange, klaffende Wunde auf Daniels Wange.
Daniel stöhnte. »Ich werde nicht gegen dich kämpfen.«
»Dann stirbst du als Feigling.«
Jude packte wieder Daniels Hemd und versuchte, ihn daran nach vorn zu stoßen, bekam aber nur das Lederband von Daniels Halsschmuck zu fassen – und den Mondstein.
Daniel schwankte nach hinten. Er hielt sich am Kirchturm fest. Ein tiefes Grollen entfuhr seinem Körper und er zitterte. Er blickte zum Mond hinauf und dann zu Jude.
Mein Bruder hielt den Mondstein in der Hand und sah einen Moment lang völlig verdutzt aus.
»Leg ihn um«, sagte Daniel zu Jude. »Leg ihn um … bevor …« Er knurrte und leckte sich über die Lippen.
»Daniel!«, rief ich und kroch auf ihn zu. »Daniel, du brauchst ihn …«
Daniel schüttelte den Kopf. »Ich muss das tun«, sagte er durch zusammengebissene Zähne. Er sah Jude an. »Es tut mir leid. Es tut mir leid, dass ich dir das angetan habe.« Sein Gesicht war schmerzverzerrt. Das Grollen seiner Stimme wurde tiefer. »Nimm ihn, Jude. Du brauchst ihn mehr als ich.«
Jude erschrak. Er presste das Lederband fester zwischen seine Finger und zog das Halsband näher zu sich hin. »Ist es wichtig für dich?«
Daniel keuchte. »Ja.«
»Gut.« Jude riss seine Hand hoch und warf das Halsband so weit es ging von sich – irgendwohin in die Leere über dem Kirchendach.
»Nein!«, schrie ich.
Daniel heulte auf.
Jude packte ihn an der Gurgel. Er hob das Messer und richtete es auf Daniels Herz. Doch dann schrie er auf und ließ es fallen, als hätte es seine Hand verbrannt. Das Messer rutschte über das Dach hinunter und blieb direkt vor mir liegen. Jude taumelte nach hinten und fiel auf alle viere. Sein Körper zuckte und warf ihn hin und her. Er heulte vor Schmerzen.
Daniel hob das Messer auf und zog mich in seine Arme. Er rannte auf die Dachkante zu und sprang.
Wir landeten vor dem Notausgang ein paar Meter weiter unten. Daniel rammte mit seiner Schulter die Tür auf und schob mich auf die Galerie über dem Altarraum. Er folgte mir und schlug die Tür hinter sich wieder zu. Dann ließer sich dagegenfallen, sank zu Boden und das Messer rutschte ihm aus den Händen. Seine Hand war rot und mit Blasen bedeckt, so als hätte er ein heißes Bügeleisen angefasst.
»Bist du in Ordnung?«
Er verzog das Gesicht, schloss die Augen und konzentrierte sich. Dann blickte er auf seine Verletzungen. Seine Hand war nur ein bisschen weniger rot und hatte immer noch dicke Brandblasen. »Der Dolch muss sehr alt sein.« Er deutete auf die Klinge neben sich. »Viel reineres Silber, als ich es je gesehen habe.«
»Mein Vater hat einen Erste-Hilfe-Kasten in seinem Büro.« Der Vorschlag kam mir reichlich albern vor, doch ich wusste nicht, was ich sonst tun sollte.
»Geh«, sagte Daniel. »Schließ dich im Büro ein. Ruf die Polizei oder sonst wen.«
»Ich lasse dich nicht allein.«
»Bitte.« Er stand langsam auf, keuchte noch immer. »Es ist noch nicht vorbei.« Seine Augen schienen alles widerzuspiegeln, was er fürchtete.
Ich setzte mich in Bewegung.
»Ich werde dich immer lieben«, sagte er.
»Ich lie…«
Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Daniel plötzlich nach vorn fiel. Die Tür hinter ihm öffnete sich krachend und schob ihn aus dem Weg. Ein großer silbergrauer Wolf stand in der Türöffnung. Mit einem Knurren schnappte er nach mir.
»Nein!« Daniel versuchte, seine Hinterläufe zu packen.Es misslang ihm; der Wolf versenkte seine Zähne in meinen Arm und durchstieß meine Haut. Ich fiel hin, stieß mir den Kopf an einer Kirchenbank und biss mir auf die Zunge. Der Wolf stand über mir, knurrte und schnappte nach mir wie das Alpha-Männchen in dem Film. Mein Blut tropfte von seinen Zähnen. Er bäumte sich auf, bereit, mir an die Kehle zu gehen.
Dann quiekte er plötzlich, und ein weiterer Wolf warf sich über ihn. Er war schwarz und geschmeidig, mit einem viereckigen Flecken weißen Fells auf dem Brustbein. Daniel. Der schwarze Wolf schnappte und biss nach dem anderen – aber so, als hätte er nicht wirklich vor, ihn zu verletzen.
Der graue Wolf schüttelte den schwarzen ab. Seine Augen sahen wild aus, als er auf den schwarzen zusprang, ihn biss und nach ihm langte. Er zerrte an Beinen und Rippen. Der schwarze Wolf rollte sich weg, heulte und jaulte. Sein weißer Fellflecken war rot verschmiert. Der graue Wolf leckte sich die Zähne.
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