Urbat: Gefährliche Gnade (German Edition)
vergessen, dass du so alt bist.«
»Grace glaubt zu wissen, wo wir einen anderen Mondstein finden können«, sagte Brent. »Sie hat nur noch nichts verraten.«
»Jetzt wäre eigentlich genau der richtige Zeitpunkt«, grummelte Slade. »Es ist ziemlich kalt hier.«
»Dann geh und hol dir eine Jacke«, fauchte ich ihn an. Wenn er das hier kalt fand, stammte er ganz offensichtlich nicht aus Minnesota. »Wir werden uns nämlich eine ganze Weile hier draußen aufhalten.« Ich hielt meinen Blick weiter auf das Dach gerichtet und trat ein paar Schritte weiter zurück, um den Kirchturm besser sehen zu können – der Kirchturm, an den sich Daniel in jener Nacht geklammert hatte, um nicht abzustürzen. Ich stellte mir vor, in welchem Abstand zu Daniel Jude gestanden hatte, und versuchte dann, vor meinem geistigen Auge die Flugbahn des Mondsteins auszurechnen.
»Mein Mondstein, also derjenige, den ich fast ein ganzes Jahr getragen habe, war ein Teil des Anhängers, den Daniel immer bei sich hatte. Jude hat ihn vom Dach der Kirche hinuntergeworfen. Daniel hat ein paar Tage später im Schnee danach gesucht, konnte aber nur die Hälfte des Mondsteins wiederfinden. Der Stein muss beim Aufprall entzweigebrochen sein. Was bedeutet, dass die andere Hälfte vielleicht noch immer irgendwo auf dem Friedhof liegt.«
April rang nach Luft. Wie immer konnte ich mich darauf verlassen, dass sie eine deutliche Reaktion zeigte.
Ich lief noch ein paar Schritte weiter rückwärts und scheuchte die Jungen aus dem Weg. Dann drehte ich mich um und setzte mich langsam in Bewegung. Ich versuchte mir vorzustellen, wie weit der Mondstein gefallen war, nachdem Jude ihn geworfen hatte. Die anderen folgten mir, während ich mit gemessenen, wenngleich hinkenden Schritten um die Kirche herumlief. Ich blieb stehen, als ich den ungefähren Bereich eingegrenzt hatte – den mit Kies bedeckten Extra-Parkstreifen hinter der Kirche, der an betriebsamen Feiertagen wie Weihnachten und Ostern benutzt wurde.
»Er ist hier. Er muss hier irgendwo sein.« Ich fiel auf die Knie und fing an, in den Steinen herumzuwühlen. Es gab Tausende – Hunderttausende – von Steinen, und ich hob als Erstes einen grauschwarz gefärbten Stein auf und überprüfte, ob er über diese typisch pulsierende Wärme verfügte, die nur von einem Mondstein ausging.
Nichts.
Ich legte ihn beiseite und überprüfte einen anderen. Dann noch einen.
»Das soll wohl ein Witz sein«, sagte Slade. »Es dauert eine Ewigkeit, um all diese Steine zu überprüfen.«
»Dann fang am besten gleich an.«
Brent und Ryan folgten meinem Befehl unverzüglich und fingen neben mir an zu suchen. Dann folgten auch Gabriel, mein Vater, April, Marcos und Zach meinem Beispiel. Sogar Slade hockte sich hin und stocherte halbherzig in den Kiessteinen herum.
»Sortiert alle Steine aus, die grau oder schwarz sind – dann kann ich testen, ob sie auf diese bestimmte Art pulsieren. Der Stein, nach dem wir suchen, hat vielleicht noch eine halbmondförmige Einkerbung, vielleicht aber auch nicht. Wer weiß, auf welche Weise er genau zerbrochen ist. Womöglich gibt es sogar mehr als einen Teil.«
Fast ein Jahr war vergangen. Drei Jahreszeiten waren gekommen und gegangen. Schnee und Regen und jede Menge Autos hatten den Ort in Mitleidenschaft gezogen. Aber noch immer existierte die Möglichkeit , dass die andere Hälfte von Daniels Mondstein hier irgendwo war. Und das bedeutete, dass ich nicht eher mit meiner Suche aufhören würde, bis ich jeden einzelnen Stein umgedreht hatte.
KAPITEL 4
Einmischung
Sonntagabend – fast 39 Stunden später
»Wenn ihr denkt, dass ich aufgebe, dann kennt ihr mich aber schlecht«, sagte ich.
»Wir wollen ja gar nicht, dass du aufgibst.« Dad beugte sich über den Schreibtisch und ließ vorsichtig ein paar Steine auf den Haufen fallen, der vor mir lag.
Wir hatten die ›Operation: Findet den Mondstein‹ in Dads Büro in der Pfarrkirche verlagert, weil acht Leute, die auf einem Parkplatz an der Kirche hockten und Steine durchwühlten, sicherlich bei Passanten einige Fragen aufwerfen würden. Außerdem wollte Dad uns da draußen nicht weiterarbeiten lassen, als die Zeit für den Sonntagsgottesdienst gekommen war. Die anderen hatten auf diskrete Weise abwechselnd einen Eimer nach dem anderen hereingebracht und sie auf Dads Schreibtisch ausgekippt, damit Gabriel und ich die Steine überprüfen konnten. Vor einer Stunde hatten alle eine Pause eingelegt, um etwas zu Abend zu essen – und
Weitere Kostenlose Bücher