Urbat: Gefährliche Gnade (German Edition)
sich nun anscheinend gegen mich verschworen.
»Wir wollen bloß, dass du eine Pause machst«, fuhr Dad fort. »Du hast noch nichts gegessen, du hast kaum geschlafen, und jetzt hast du so viel Koffein in deinem Körper, dass dir schon die Hände zittern.«
Ich warf einen Blick auf die leeren Becher vom Coffeeshop und die zahlreichen Energiedrink-Dosen, die sich wie zum Beweis auf dem Schreibtisch sammelten, und legte meine zitternden Hände in den Schoß. »Ich bin völlig in Ordnung.«
»Du musst nach Hause gehen und etwas schlafen«, sagte Gabriel. Er, mein Vater und April standen mir an Dads Schreibtisch gegenüber.
Ich schüttelte den Kopf. Ich wollte nicht schlafen, denn dann würde ich nur wieder diesen Traum von Daniel und mir haben – den Traum, der mich nach dem Mondstein suchen ließ. Als ich beim Durchwühlen der Steine ein paarmal versucht hatte, für einen Moment die Augen zu schließen, war die Botschaft des Traums immer eindringlicher in mein Bewusstsein gedrungen, und jedes Mal wenn ich sie dann wieder aufmachte, wollte ich meine Mission umso dringlicher fortsetzen.
Ohne nachzudenken, griff ich nach dem letzten Kaffeebecher und würgte den Rest hinunter.
April riss mir den Becher aus der Hand. »Herrgott, Grace. Du hast Ringe unter den Augen, so groß wie Hockeypucks. Ich muss dir unbedingt eine starke Abdeckcreme verpassen, bevor wir morgen wieder in die Schule gehen. Die Leute werden noch glauben …«
Ich sah April vorwurfsvoll an. Als meine beste Freundin sollte sie in dieser Sache doch eigentlich auf meiner Seite stehen, oder? »Es ist mir egal, wie ich aussehe, und es ist mir egal, was die Leute denken.« Immerhin hatte ich nicht mehr meinen Pyjama an. Irgendwann innerhalb der letzten vierundzwanzig Stunden hatte April mir zusammen mit den koffeinhaltigen Getränken ein paar neue Klamotten gebracht. »Und ich werde morgen nicht in die Schule gehen. Wie könnte ich das, ohne …?«
Meine Stimme schien mir im Halse stecken zu bleiben, aber ich unterdrückte die Gefühle, die in meiner Brust aufwallten, als ich versuchte, Daniels Namen laut auszusprechen. »Wie könnte ich denn neben seinem leeren Stuhl im Klassenzimmer sitzen und so tun, als läge er bloß krank zu Hause im Bett?«
Krankheit – das war die Geschichte, die Dad erfunden hatte, um Daniels Abwesenheit zu erklären, damit er nicht sein Stipendium verlieren würde, nachdem die Ferien jetzt vorbei waren und wir morgen alle wieder zum Unterricht erscheinen sollten. Dad hatte eine passende Entschuldigung aus Krankenhausaufenthalt und häuslicher Rekonvaleszenz zusammengebastelt, und für alle, die es etwas anging, litt Daniel offiziell unter einer bösen Form von Lungenentzündung. Noch immer fragte ich mich, wie Dad den Arzt hatte überreden können, das Attest auszustellen, ohne Daniel überhaupt untersucht zu haben … oder ob Pastor Divine dieses Attest womöglich höchstpersönlich gefälscht hatte.
Aber diese Frage wollte er mir unter keinen Umständen beantworten.
»Du wirst die Schule auf keinen Fall ausfallen lassen, Gracie.« Dad riss den Stein an sich, den ich gerade von einem der Häufchen auf dem Schreibtisch nehmen wollte. »Die College-Bewerbung ist bald fällig, und du kannst dir bei deinen Noten keine weiteren Schnitzer leisten. Deine Zukunft ist einfach viel zu wichtig.«
»Meine Zukunft? Welche Zukunft? Wenn wir Daniel nicht in einen Menschen zurückverwandeln können, habe ich keine Zukunft.« Wieso kapierten sie das nicht? »Die Rettung könnte sich genau in diesem Raum befinden. Ich werde nicht aufgeben.«
»Aber Grace, wir wollen doch gar nicht, dass du aufgibst. Wir wollen nur, dass du eine Pause machst. Es könnte Wochen, ja vielleicht sogar Monate dauern, bis wir alle Steine durchgesehen haben.« Er schluckte. Zweifellos versuchte er, den hoffnungslosen Klang in seiner Stimme zu unterdrücken. Er glaubte wohl nicht, dass wir den Stein jemals finden könnten. »Niemandem ist damit gedient, wenn du krank wirst oder den Überblick verlierst …« Er zögerte, und ich wusste, dass er an Mom dachte. Denn psychische Labilität kam in unserer Familie offenbar nun einmal vor. »April wird dich nach Hause bringen, damit du ein bisschen schlafen kannst. Gabriel und ich werden mit den Steinen morgen da weitermachen, wo du aufgehört hast.«
Ich starrte die drei Personen an, die mich ihrerseits anstarrten, und plötzlich wurde mir klar, was das hier eigentlich war: eine unzulässige Einmischung in mein
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