Urbat: Gefährliche Gnade (German Edition)
braucht einen Mondstein. Ich weiß es. Ich kann es spüren . Und jetzt verlangst du von mir, dass ich aufgebe, bevor …«
»Wir wollen nur, dass du in Sicherheit bist.« Dad langte über den Schreibtisch und wollte meine Hand nehmen. Ich zog sie weg. »Ich hab doch gesehen, wie du hier am ganzen Wochenende herumgehinkt bist. Ganz zu schweigen von den inneren Verletzungen, die dir Caleb zugefügt hat. Du bist nicht in der Verfassung, um dich wieder in eine Gefahrensituation zu begeben.«
Was den Knöchel betraf, hatte er recht. Es war nicht gerade von Vorteil, die ganze Zeit im Kies herumzukriechen. Ich stand auf und gab vor, den stechenden Schmerz nicht zu spüren, als ich mein Gewicht auf das verletzte Bein verlagerte. Ich stellte mich so aufrecht wie möglich hin. »Es geht mir gut.«
»Ich schlage vor, dass du jetzt nach Hause gehst und dich ausruhst.« Gabriel rieb sich über das erschöpfte Gesicht. »Wir werden später weiterreden. Und uns einen besseren Plan ausdenken.«
»Denk mal an das große Ganze, Gracie«, sagte Dad. »Dein Leben ist weit mehr als nur dieser Augenblick. Du musst verhindern, dass die Prüfungen, denen du jetzt unterzogen wirst, deinen Lebensweg für immer zerstören.«
»Ich denke durchaus an das große Ganze. Abgesehen von der Tatsache, das sich der Junge, den ich liebe, in einen Wolf verwandelt hat und in dieser Gestalt gefangen ist, haben wir es auch noch mit einem psychotischen Werwolf und einer Bande blutdürstiger Dämonen zu tun. Ganz zu schweigen von Sirhan und seinem Rudel und was immer sie mit mir vorhaben … Daniel ist vielleicht der Einzige, der Caleb davon abhalten kann, uns zu töten, das mächtigste Werwolfrudel im ganzen Land zu übernehmen und mit dieser neuen Stärke dann weiß Gott was für schreckliche Dinge anzustellen. Denn wenn Sirhan stirbt, ist Daniel der einzige wahre Alpha , der dann noch auf diesem Kontinent übrig ist, wenn nicht auf der ganzen Welt. So viel zum Thema ›Das große Ganze‹!«
Meine Stimme war lauter geworden, als ich beabsichtigt hatte. Dem Ausdruck ihrer Gesichter nach zu urteilen, musste ich in diesem Moment wohl ziemlich wild und wahnsinnig ausgesehen haben. Wie konnte ich es ihnen bloß begreiflich machen?
»Außerdem vermisse ich ihn«, sagte ich, jetzt mit viel leiserer Stimme. »Ich vermisse ihn so sehr. Es tut so weh, als würde irgendwas in meinem Herzen feststecken und daran zerren und alles jeden Moment aufbrechen, wenn der Druck nur ein winziges bisschen größer wird. Ich vermisse es, dass er mich in seinen Armen hält.« Ich drehte mich zu April, weil es mir lieber war, ihr diese Dinge zu sagen, als meinem Vater oder Gabriel. »Ich vermisse den Glanz in seinen Augen, wenn er gerade ganz intensiv mit einem neuen Bild beschäftigt ist. Ich vermisse den Ausdruck in seinen Augen, wenn er mich ansieht. Ich vermisse, wie wichtig ihm alles war, was ich zu ihm gesagt habe. Als wäre ich die wichtigste Person auf der ganzen Welt. Und jetzt weiß ich nicht mal, ob er mich überhaupt versteht, wenn ich etwas sage.«
»Gracie …«
Ich schüttelte den Kopf, damit Dad mich nicht unterbrach. »Es fühlt sich an, als wäre er tot. Viel schlimmer, denn er ist ja noch da. Allerdings ist er es nicht wirklich. Er ist zwar physisch anwesend und steckt in der Gestalt des weißen Wolfs, aber gleichzeitig fühlt er sich so weit weg an wie nie zuvor. Er ist nicht Daniel . Wir wissen ja nicht einmal, was er eigentlich ist.« Ich sah Gabriel und Dad an. »Ich habe geschworen, ihn nicht aufzugeben. Und ich würde Berge versetzen, wenn ich ihn dadurch zurückverwandeln könnte. Wie könnt ihr mich also bitten aufzugeben und in die Schule zu gehen, wenn ich bloß ein verlassenes Lagerhaus nach ein paar kostbaren Steinen absuchen muss, die ihn vielleicht wieder verwandeln können?«
»In deiner derzeitigen Verfassung kommt das überhaupt nicht infrage …«
»Dann gehe ich zu Sirhan«, erwiderte ich, wenngleich mich diese Vorstellung mehr ängstigte als das Lagerhaus. »Er ist schließlich der Hüter aller übrigen Mondsteine, oder nicht?«
Gabriel nickte feierlich und mir wurde klar, dass er dasselbe gedacht hatte.
»Nur über meine Leiche«, sagte Dad. »Das Lagerhaus ist ja schon tollkühn, aber Sirhan aufzusuchen grenzt an Selbstmord. Ich habe meine Begegnung mit ihm nur mit knapper Not überlebt, und ich werde niemandem erlauben, zu ihm zu gehen. Er hasst Daniel, weil er Calebs Sohn ist. Weswegen sollte er ihm wohl helfen
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