Urbat: Gefährliche Gnade (German Edition)
immer noch ein Teil deines Lebens sein, Grace. Auf welche Weise auch immer.«
»Ich wüsste nicht, wie das möglich wäre«, sagte ich und ging weg.
»Hey, Talbot«, rief der junge Urbat mit dem rasierten Kopf. »Ist es so richtig?« Schwungvoll stieß er das Messer nach oben.
Während sich Talbots Aufmerksamkeit wieder auf das Training richtete, nahm ich das Schwert und lief zurück ins Farmhaus, wo sich Daniel und die Ältesten über eine Skizze des Schlachtfelds beugten.
Ich blickte nicht zurück.
Freitagabend, noch neunundzwanzig Stunden
Wir arbeiteten weiter, bis die Sonne unterging und Gabriel verkündete, dass er und sein Rudel sich zu einer Meditation zurückziehen würden – so wie sie es für gewöhnlich in einer Vollmondnacht immer taten. Er riet mir, mit meiner Familie nach Hause zu fahren und die Vorbereitungen am nächsten Tag fortzusetzen.
Mom, Dad und Charity stiegen in einen der Cadillacs und ließen sich von Daniel nach Hause fahren. Nur Jude wollte für die Nacht unbedingt wieder eingesperrt werden.
»Auf einem der angrenzenden Felder gibt es einen alten Getreidesilo«, sagte er. »Ich könnte während des Vollmonds dort übernachten, und dann lässt du mich morgen wieder raus.«
Es tat mir im Herzen weh, dass er nicht mit nach Hause kommen wollte, doch ich ließ ihn gewähren. Schweigend liefen wir zu dem Silo hinüber. Bevor Jude die Tür zwischen uns zumachen konnte, drückte ich ihm den Mondsteinanhänger in die Hand.
Er umklammerte den Stein, schloss die Augen und seufzte so herzergreifend, dass ich schon Schuldgefühle verspürte, weil ich den Stein den ganzen Tag für mich behalten hatte.
»Heute war ein harter Tag, Gracie«, flüsterte Jude.
»Ich weiß. Es gab viel Arbeit, aber mit jedem Schritt sind wir besser auf die Zeremonie vorbereitet. Und dann werden wir James zurückbekommen.«
»Die Vorbereitungen waren gar nicht so schlimm. Beinahe freue ich mich auf die Zeremonie, weil das endlich etwas ist, worauf ich mich konzentrieren kann. Aber mir fällt es schwer, an die Zeit danach zu denken. Wie kann ich James je wieder in den Armen halten, ohne dabei an meinen Schuldgefühlen zu zerbrechen? Schließlich ist alles nur passiert, weil ich die Shadow Kings überhaupt in unser Leben gebracht habe. Wie soll ich jemals wieder zur Schule gehen oder eine von Dads Predigten anhören und dabei so tun, als wäre nie etwas vorgefallen? Allein der Gedanke daran kommt mir unerträglich vor …«
Ich stimmte ihm zu. In gewisser Weise fühlte ich dasselbe wie er, wusste jedoch, dass es sich für ihn noch viel schwieriger anfühlen musste. »Aber du wirst es schaffen. Ich weiß, dass du es kannst.«
Er nickte kaum merklich und zog die schwere Tür hinter sich zu. Ich hoffte, dass meine Worte nicht ohne Wirkung waren.
KAPITEL 34
Körper trifft Seele
Freitagnacht, noch sechsundzwanzig Stunden
Als ich in unsere Einfahrt einbog, sah ich Daniel auf dem höchsten Ast des Walnussbaums balancieren. Es sah fast so aus, als wollte er nach dem gelben Mond über ihm greifen und ihn anfassen. Er hatte den Kopf zurückgelegt, sein hübsches Gesicht wurde im Mondlicht gebadet. Er öffnete den Mund, und ich hatte schon Angst, dass er gleich ein laues Heulen von sich geben würde – aber stattdessen sprach er einfach nur meinen Namen aus, als ich mich ihm näherte.
»Alles in Ordnung?«, rief ich zu ihm hinauf.
»Ich kann sie spüren«, sagte er. »Die Anziehungskraft des Mondes. Als ob der Mond nach mir verlangt. Als ich noch in der Gestalt des weißen Wolfs war, hab ich es auch gespürt – diese unwiderstehliche Anziehung, die mich geradezu fesselte. Der weiße Wolf spürt sie auch und will sich ihr hingeben.«
»Das gefällt mir ganz und gar nicht«, sagte ich.
Daniel wandte seinen Blick vom Mond ab. »Mir auch nicht.« Er stieß sich von einem Ast ab und sprang von der Baumkrone herunter. Kaum hörbar landete er direkt vor mir im Gras. »Wenn ich sage, dass ich die Anziehungskraft des Mondes oder des Wolfs verspüre, dann meine ich damit nicht dasselbe, was du und Jude fühlt. Es ist nicht mehr die grässliche Stimme, die versucht, mir schreckliche Gedanken einzupflanzen. Ich bin keine Gefahr für dich. Vergiss das nicht.«
»Ich verstehe das. Der Wolf in dir ist kein Dämon. Er ist ein echter Hund des Himmels.«
»Ja, aber gleichzeitig muss ich ständig dagegen ankämpfen. Er möchte, dass ich meine menschliche Form ablege und meinen natürlichen Zustand akzeptiere.«
»Soll das etwa
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