Urbat: Gefährliche Gnade (German Edition)
können so etwas tun. Weil wir unsere Fähigkeit zu lieben noch nicht verloren haben. Das ist unsere Gabe an die Welt.«
In Daniels Augen konnte ich sehen, wie er mit sich selbst kämpfte. Würde er akzeptieren, was ich ihm erzählt hatte, oder würde er weiter nur das sehen, was er über sich selbst glaubte?
»Du bist kein Monster. Nicht mehr. Du bist als etwas anderes zurückgekommen. Und ich glaube, tief im Innern weißt du, was das ist.«
Wie ein Engel.
Ich beugte mich vor und küsste ihn sanft auf den Mund. Als ich mich wieder zurückzog, schloss er für einen Moment die Augen, sodass ich den Kampf in seinem Innern nicht mehr sehen konnte. Schließlich richtete er sich etwas auf und nickte. »Ich glaube, du hast recht«, sagte er und öffnete die Augen. Ich sah, dass er seinen Entschluss gefasst hatte.
»Bist du bereit, das hier mit mir durchzustehen?«
»Ja. Für dich tue ich alles.« Er schaute zu meinem Vater. »Und für ihn.«
Daniel reichte mir die Hände. Seite an Seite standen wir am Krankenhausbett. Ich legte Daniels Hände auf die Brust meines Vaters. »Konzentrier dich auf das Gute. Du musst all deine Liebe und positive Energie bündeln.«
Daniel schloss die Augen, ich folgte seinem Beispiel. Dann versenkte ich mich tief in mein Gedächtnis, zog jede positive Erinnerung an meinen Vater daraus hervor und leitete die Energie in meine Hände. Schon nach wenigen Sekunden konnte ich die Kraft zwischen meinen und Daniels Händen spüren. Sie kribbelte und pulsierte und wurde immer intensiver. Eine Erinnerung an meinen Vater verwandelte sich plötzlich in ein Bild, das mir völlig entfallen war – Daniel saß meinem Vater an seinem Schreibtisch im Büro gegenüber. Sie waren allein, und plötzlich begriff ich, dass es gar nicht meine Erinnerung war. Es war Daniels. Wir waren wieder miteinander verbunden. Die Bilder waren verschwommen, doch ich sah, wie mein Vater Daniel versprach, ihm bei der Suche nach einer Heilung vom Werwolffluch zu helfen, und konnte Daniels Dankbarkeit in diesem Augenblick spüren. Unsere Verbindung blieb stabil, und ich erkannte kleine Ausschnitte aus Daniels Leben. Und in einer dieser Erinnerungen sah ich mich selbst. Mit seinen Augen konnte ich sehen, was ich für ihn war, und plötzlich fragte ich mich, wieso ich jemals an seinen Gefühlen gezweifelt hatte.
Mein Herz füllte sich mit Liebe, und mit einem Mal schoss ein enormer Energieschwall durch jede Zelle meines Körpers und umfing mich so stark, dass ich kaum mehr wusste, wie ich ihn in mir halten sollte. Wie eine riesige Welle durchfloss mich diese Kraft und übertrug sich auf Daniel. Dann spürte ich nur noch, wie ich Daniels Hände losließ und neben dem Bett in die Tiefe fiel – aber von Daniel aufgefangen wurde.
»Alles in Ordnung?«, fragte er und schloss mich in seine Arme. »Das war ja ziemlich intensiv.«
Ich versuchte zu antworten, brachte jedoch keinen Ton hervor. Ich hatte nicht mal die Kraft, meine Augen zu öffnen.
Plötzlich drang ein schriller Chor aus Pieptönen an meine Ohren. Zuerst wusste ich nicht, wo sie herkamen, begriff aber dann mit Entsetzen, dass jeder einzelne Monitor über dem Bett meines Vaters losgegangen war. Und anzeigte, dass irgendetwas Schreckliches passiert war.
»Heilige Scheiße«, flüsterte Daniel.
Ich war mir so sicher gewesen, alles richtig zu machen. So sicher, dass alles wie zuvor bei Daniel funktionieren würde. Was habe ich getan?
»Heilige Scheiße«, schrie Daniel beinahe und ich spürte, wie er mich zu meinem Vater drehte. »Sieh nur, Grace.«
Ich zwang mich, die Augen zu öffnen. Am liebsten hätte ich sie weiter fest zusammengepresst, um ja nicht sehen zu müssen, welchen Schaden ich verursacht hatte, sodass all die Monitore plötzlich erwacht waren. Doch dann sah ich, was geschehen war. Und verstand.
Dad saß aufrecht in seinem Bett und hatte sich die Sauerstoffmaske vom Gesicht gezogen – dadurch war der Alarm ausgelöst worden.
»Gracie?«, fragte er. »Was ist passiert? Wo bin ich?«
Ich konnte es nicht glauben. Er war wach. Er sprach. Und all die blauen Flecken waren aus seinem Gesicht verschwunden.
»Wir haben es geschafft.« Die Tränen liefen mir über das Gesicht. »Wir haben es wirklich geschafft.«
Daniel versuchte, mir auf die Füße zu helfen, aber ich war zu schwach, um alleine stehen zu können. Er setzte mich auf dem Bett ab, und ich fiel meinem Vater um den Hals. »Du lebst«, brachte ich zwischen ein paar Schluchzern hervor. »Du lebst
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