Urbi et Orbi
ändern.
»Keine Sorge. Ich hab keine Hintergedanken. Aber ich frage mich, ob die rumänischen Behörden sich wirklich für mich interessieren. «
»Was meinst du damit?«
»Das könnte ein Ablenkungsmanöver sein.«
Sie sah ihn verwirrt an.
»Clemens hat mir in der Nacht vor seinem Tod eine E-Mail geschickt. Darin teilte er mir mit, dass Valendrea vielleicht vor vielen Jahren, als er für Paul VI. arbeitete, einen Teil des ursprünglichen dritten Geheimnisses unterschlagen haben könnte.«
Sie hörte ihm interessiert zu.
»In der Nacht vor Clemens ’ Tod waren Clemens und Valendrea gemeinsam in der Riserva. Außerdem trat Valendrea am Tag darauf eine ungeplante Kurzreise an und verließ Rom.«
Sie verstand sofort. »War das der Samstag, an dem Hochwürden Tibor ermordet wurde?«
»Verbinde die Punkte, dann entsteht ein Bild. « D ie Erinnerung daran, wie Ambrosi ihr das Knie in die Brust gerammt und sie mit beiden Händen gewürgt hatte, blitzte in ihr auf. Waren Valendrea und Ambrosi in Tibors Ermordung verwickelt? Sie hätte Michener gerne erzählt, was sie wusste, doch es war ihr klar, dass ihre Erklärung weit mehr Fragen aufwerfen würde, als sie derzeit beantworten wollte. Stattdessen fragte sie: »Könnte Valendrea für Hochwürden Tibors Tod verantwortlich sein?«
»Schwer zu sagen. Aber zuzutrauen ist es ihm gewiss. Ebenso diesem Ambrosi. Ich glaube allerdings immer noch, dass Ambrosi blufft. Das Letzte, was der Vatikan will, ist Aufmerksamkeit. Ich wette, unser neuer Papst wird alles in seiner Macht Stehende tun, um nicht ins Rampenlicht zu geraten. «
»Aber Valendrea könnte dafür sorgen, dass jemand anderes unter Verdacht gerät. «
Michener schien zu verstehen. »Wie zum Beispiel ich. «
Sie nickte. »Keiner eignet sich besser zum Sündenbock als ein geschasster Mitarbeiter. «
V alendrea legte eine der weißen Soutanen an, die man im Hause Gammarelli im Laufe des Nachmittags geschneidert hatte. Es war genauso, wie er es sich am Vormittag gedacht hatte: Es lag schon alles für seine Maße bereit, und so hatte man in kurzer Zeit die passende Kleidung für ihn parat. Die Näherinnen hatten gute Arbeit geleistet. Er bewunderte handwerkliches Können und nahm sich vor, Ambrosi eine offizielle Dankesnote schicken zu lassen.
Seit Ambrosis Abreise nach Bosnien hatte er nichts mehr von ihm gehört. Aber er zweifelte nicht daran, dass sein Freund den Auftrag ausführen würde. Ambrosi wusste, was auf dem Spiel stand. Das hatte Valendrea ihm damals, in jene r N acht in Rumänien, vollkommen klar gemacht. Colin Michener musste nach Rom geschafft werden. Clemens XV. hatte vorausschauend gedacht – das musste er dem Deutschen lassen – und er war offensichtlich zu dem Schluss gelangt, dass Valendrea sein Nachfolger werden würde. Daher hatte er Tibors letzte Übersetzung in Sicherheit gebracht, wohl wissend, dass Valendrea sein Pontifikat mit dieser potenziellen Katastrophe im Nacken schlecht antreten konnte.
Aber wo war das Dokument?
Gewiss wusste Michener Bescheid.
Das Telefon läutete.
Valendrea befand sich in seinem alten Schlafzimmer im zweiten Stock des Palasts. Die Papstwohnung war noch nicht ganz bezugsfertig.
Wieder läutete das Telefon.
Er wunderte sich über diese Störung. Es war beinahe zwanzig Uhr, er zog sich gerade für sein erstes offizielles Essen um, eine Dankesfeier mit den Kardinälen, und er hatte angeordnet, dass er nicht gestört werden wolle.
Wieder läutete es.
Valendrea nahm den Hörer ab.
»Heiliger Vater, Monsignore Ambrosi ist am Apparat und bittet, mit Ihnen verbunden zu werden. Er sagt, es sei wichtig.«
»Stellen Sie ihn durch.«
Er hörte ein Klicken in der Leitung, und dann Ambrosis Stimme: »Ich habe Ihre Anweisung ausgeführt.«
»Und?«
»Er trifft morgen in Rom ein.«
»Wie geht es ihm?«
»Er ist praktisch wiederhergestellt.«
»Und seine Reisebegleiterin?«
» So reizend wie immer. «
»Lassen wir sie vorläufig in Ruhe.« Ambrosi hatte ihm von der Ohrfeige in Rom erzählt. Damals war Katerina der beste Verbindungsdraht zu Michener gewesen, doch die Lage hatte sich geändert.
»Ich habe nichts anderes im Sinn.«
»Dann also bis morgen«, schloss Valendrea. »Und gute Reise.«
55
Vatikanstadt
Donnerstag, 30. November
13.00 Uhr
M ichener saß auf dem Rücksitz eines Wagens aus dem Fuhrpark des Vatikans, Katerina an seiner Seite. Ambrosi saß neben dem Fahrer und gab ihm Anweisung, durch das Glockentor auf den stillen Cortile di
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