Urbi et Orbi
er gefragt.
Ein Zeichen für die Welt zu sein. Ein Leuchtturm der Reue. Der Bote, der verkündet, dass Gott lebendig ist.
Er hatte das alles für eine Halluzination gehalten. Jetz t wusste er, dass es wirklich passiert war.
Er bekreuzigte sich und betete zum ersten Mal in dem Wissen, dass Gott ihn hörte, betete um Vergebung für die Kirche und die Torheit der Menschen, insbesondere aber seine eigene. Wenn Clemens Recht hatte – und es gab inzwischen keinen Grund mehr, daran zu zweifeln –, hatte Alberto Valendrea 1978 jenen Teil des dritten Geheimnisses unterschlagen, den Michener gerade eben gelesen hatte. Was Valendrea wohl gedacht hatte, als er die Worte zum ersten Mal las? Zweitausend Jahre christlicher Lehren verworfen, und zwar von einem des Lesens unkundigen portugiesischen Kind. Frauen dürfen Priester werden? Priester dürfen heiraten und Kinder haben? Homosexualität ist keine Sünde? Frauen entscheiden selbst, ob sie Mutter werden wollen? Als Valendrea dann gestern die Botschaft von Medjugorje gelesen hatte, hatte er sofort erkannt, was nun auch Michener wusste.
All das war Gottes Wort.
Wieder kamen ihm die Worte der Jungfrau in den Sinn: Halte an deinem Glauben fest, denn am Ende wird er das Einzige sein, was dir bleibt.
Michener schloss die Augen. Clemens hatte Recht. Die Menschen waren Toren. Der Himmel hatte versucht, die Menschheit auf den rechten Weg zu lenken, doch die Törichten waren achtlos darüber hinweggegangen. Michener dachte an die verschwundenen Botschaften der Seher von La Salette. Hatte ein anderer Papst vor einem Jahrhundert dasselbe versucht wie Valendrea und Erfolg gehabt? Das könnte erklären, warum die Jungfrau erst in Fatima und dann in Medjugorje erschienen war. Um es noch einmal zu versuchen. Und doch hatte Valendrea die Beweise vernichtet und damit die Offenbarung unmöglich gemacht. Clemens hatte wenigstens getan, was er konnte. Die Jungfrau war hier und erklärte mir, dass meine Zeit gekommen sei. Hochwürden Tibor war bei ihr. Ich erwartete, dass sie mich gleich mitnehmen würde, doch sie sagte, ich müsse mein Leben mit eigener Hand beenden. Hochwürden Tibor sagte, das sei meine Pflicht und die Buße für meinen Ungehorsam. Alles werde sich später klären. Ich sorgte mich um meine Seele, doch sie sagten mir, der Herr erwarte mich. Z u lange habe ich die Wünsche des Himmels missachtet, diesmal aber werde ich gehorchen. Diese Worte waren nicht das Gebrabbel eines Verrückten und auch nicht der Abschiedsbrief eines labilen Menschen. Michener verstand inzwischen, warum Valendrea nicht zulassen konnte, dass jemand Hochwürden Tibors Übersetzungskopie mit Jasnas Botschaft verglich.
Für ihn wären die Auswirkungen verheerend.
Nicht allein Männer werden zum Dienst des Herrn berufen. Die Haltung der Kirche zur Frage der Priesterschaft von Frauen war unbeugsam. Seit den ältesten römischen Zeiten hatten di e P äpste diese Tradition immer wieder bestätigt. Jesus war ein Mann, und so sollten auch seine Priester Männer sein.
Die Priester Jesu sollten glücklich sein und das Leben in seiner Fülle kennen. Die Freuden der Liebe und der Elternschaft sollte ihnen niemals verwehrt werden. Der Zölibat war von Menschen erdacht und durchgesetzt worden. Die Kirche war der Meinung, Jesus habe zölibatär gelebt. Daher sollten seine Priester es ihm nachtun.
Warum verfolgt ihr den Mann oder die Frau, die anders lieben als andere? Die Genesis berichtete, dass Mann und Frau ein Leib wurden, wenn sie zusammenkamen, um Leben zu zeugen, und so lehrte die Kirche seit langem, dass eine Verbindung, die unfruchtbar bleiben müsse, Sünde sei.
So wie Gott mir seinen Sohn anvertraute, so vertraut der Herr dir und allen Frauen das Ungeborene an. Ihr allein könnt entscheiden, was das Beste ist. Die Kirche hatte sich vehement gegen alle Formen der Geburtenkontrolle gesperrt. Die Päpste hatten mehrmals dekretiert, dass der Embryo beseelt sei – ein Mensch mit dem Recht auf Leben – und dass dieses Leben ausgetragen werden musste, selbst wenn es für die Mutter eine besondere Härte bedeutete.
Die menschliche Vorstellung vom Worte Gottes unterschied sich offensichtlich gewaltig von seinem wahren Wort. Schlimmer noch, seit Jahrhunderten hatte die Kirche ihre starre Haltung mit dem Stempel päpstlicher Unfehlbarkeit versehen. Die Unfehlbarkeit war nun aber ad absurdum geführt, da kein Papst je getan hatte, was der Himmel verlangte. Was hatte Clemens gesagt? Wir sind nur Menschen,
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