Urmel taucht ins Meer
ihn fragend an,
und da fiel ihr etwas ein. «Hör mal, als wir noch in Winkelberg wohnten, da war
doch ein Kiosk an der Straßenecke, wo du deine Zeitung kauftest, und die Frau
hatte einen taubstummen Sohn. Aber die beiden unterhielten sich doch
miteinander, mit den Armen und Fingern!»
«Ja, in der
Taubstummensprache!»
«Na also! Die Krabbe hat doch
genug Arme und Finger, ich meine ihre Scheren und Beine. Kannst du ihr nicht
die Taubstummensprache beibringen?»
«Das wäre eine Möglichkeit!»
rief er. Glücklich streichelte er Wutz über den Kopf.
«Vorsicht, ich bin frisch
gekämmt!» flüsterte sie, aber sie war sehr froh.
In ihrer Schlummertonne dachte
sie nun nicht mehr an das Gedicht, sie schlief bald ein und träumte von einem
Schmetterling, der sich mit einem Kohlkopf unterhielt, indem er seine Flügel in
die verschiedensten Stellungen brachte — etwa so, wie die Matrosen es mit ihren
kleinen bunten Fahnen machen, wenn sie sich von Schiff zu Schiff Nachrichten
signalisieren.
Und der Professor setzte sich
an den Schreibtisch, um die Grundzüge einer Zeichensprache für Krabben zu
entwerfen.
Wutz erfährt die Vergänglichkeit der Kunst
Wutz machte Fortschritte in der
Kunst des Schreibens und Lesens und war über die ersten Schwierigkeiten hinaus.
Je mehr sie lernte, desto mehr geriet sie in Begeisterung. Wenn sie am Strand
saß und mit ihren Vorderpfoten Linien in den feinen Sand malte, dann funkelten
ihre Augen.
Dabei vernachlässigte sie ihren
Haushalt — wer hätte das jemals von ihr gedacht? Die geregelten freien
Nachmittage gehörten der Vergangenheit an. Sie verschwand, wann es ihr paßte.
An manchem Morgen wischte sie nur flüchtig und schnell mit dem Staubtuch einmal
über den Tisch, hielt die Töpfe unters Wasser, zupfte des Professors Kissen
zurecht und trollte sich. Dabei versäumte sie es aber nie, sich mit Proviant zu
versorgen. Sie packte sich ein Körbchen mit Obst und Gemüse ein, eine Schüssel,
aus der sie trinken konnte, und eine Flasche mit frischem Wasser. Sie
parfümierte sich hinter den Ohren und klemmte den Sonnenschirm unter die
Achsel.
Am Strand spannte sie ihn auf
und steckte seinen Stiel in den Sand. Er leuchtete rot wie ein Fliegenpilz. In
seinen Schatten stellte sie die Eßwaren. Die Flasche mit Wasser legte sie zur
Kühlung ins Meer. Und sie selbst saß dann im rötlichen Schatten ihres Schirms,
schmatzte einen Apfel, schlürfte aus der Schüssel — und zog Linien, Buchstaben
und Worte in den Sand. Und doch, das Lernen dauerte so lange! War sie vielleicht
zu dumm? Könnte sie — sollte sie etwa noch etwas von des Professors
Wundermedizin nehmen? Ganz heimlich? In einer Nacht, in der er fest schlief?
Wutz mußte lange auf eine
Gelegenheit warten, denn meist schnarchte sie längst, ehe der Professor sein Licht
löschte. Eines Nachts wachte sie auf. Es war tintenschwarz, nicht einmal der
Mond schien. Wutz lauschte. Sie hörte den Professor durch das geöffnete Fenster
ruhig atmen. Leise öffnete sie die Tür des Blockhauses. О Himmel, sie
quietschte!
Daß Tim sie aber auch nie ölte!
Und wie die Dielen knarrten! Bei jedem Schritt mußte sie innehalten.
Glücklicherweise schien der Professor wie ein Murmeltier zu schlafen. Wutz
öffnete behutsam den Medizinschrank. Trotzdem fiel eine Schachtel zu Boden. Es
knallte wie ein Schuß.
Der Professor richtete sich
senkrecht im Bett auf. «Hilfe! Das Urmel!» rief er, in Erinnerung an König
Pumponells Jagdleidenschaft.
«Ich bin es nur, öff!» quiekte
Wutz leise.
Er zündete eine Kerze an und
sah sie geisterhaft am Medizinschrank stehen. «Hast du Fieber?» fragte er
besorgt.
«O nein!» grunzte sie
kleinlaut.
«Aber was willst du denn?»
Da öffnete sie ihm ihr Herz.
«Professor, öff, du hast doch noch die Tropfen, die uns so klug gemacht haben,
daß wir das Sprechen lernten, sogar die Vögel, was mir noch immer unbegreiflich
ist. Da wäre es doch gut, wenn ich wieder Medizin bekäme. Ich dachte, dreimal
täglich eine halbe Tasse, öff!»
«O nein!» stöhnte er. «Was für
eine verrückte Idee! Nicht einen Tropfen! Wer weiß, was dann aus dir wird!»
«Vielleicht — der erste
Schweineprofessor?»
«Ich fürchte eher, daß du
überschnappst. Du bist schon lange klug genug. Um noch intelligenter zu werden,
mußt du nur lernen und arbeiten!»
Beleidigt trollte sich Wutz
hinaus. Sie fühlte sich mißverstanden. Trotzdem schrieb sie am nächsten Tag
ihren ersten Vers in den Sand. Er lautete
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