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Urmels großer Flug

Urmels großer Flug

Titel: Urmels großer Flug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Kruse
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immer fürchterliches Lampenfieber. Später sang sie
dann doch wie ein Engel. Aber jedesmal bereiteten ihre Launen dem Inspizienten
Magenschmerzen. Er dirigierte also die Bühnenarbeiter hin und her und hatte
seine Gedanken bei der göttlichen Diva — so nennt man die Hauptdarstellerinnen
mit ihren berühmten Sopranstimmen — , da erblickte er plötzlich das Urmel. Er
stutzte, faßte sich an die Stirn und rief: »Ja, um Gottes willen, Herr
Kammersänger, gibt es denn nicht ›Aida‹? Wurde der Spielplan geändert? Sollte
ich mich so geirrt haben? Spielen wir heute ›Der Drache und die Jungfrau ‹?«
    »Ja,
heute gibt es ›Der Drache und die Jungfrau‹!« sagte das Urmel und schlenderte
möglichst gleichmütig beiseite.
    »Unmöglich,
diese Direktion! Niemals werde ich rechtzeitig verständigt«, jammerte der
Inspizient. Und danach hatte er noch schneller noch mehr zu tun, die Bühne und
die Sänger und die Dekorationen und die Kostüme und die Musiker und den
Dirigenten auf die plötzliche Spielplanänderung einzustellen.

    Das
alles ging in fliegender Hast vor sich, so daß niemand zum Nachdenken kam. Aber
nur durch diese Eile brachte der Inspizient das Wunder der blitzartigen
Umorganisation fertig.
    Dennoch
setzte das musikalische Vorspiel ein wenig verspätet ein. Das Publikum war
schon unruhig geworden. Und mit gesteigerter Unruhe nahm es nun ein Vorspiel
auf, das so gar nicht zu »Aida« passen wollte. Das Beifallklatschen war daher
dünn. Man hörte verwunderte Rufe.
    Der
Dirigent, noch gänzlich erschöpft vom raschen Umdenken in eine andere
Notenwelt, wischte sich den Schweiß aus dem Nacken.
    Dann
hob er den Taktstock wieder, nun sollte der Vorhang aufgehen und das
eigentliche Spiel beginnen.

    Vierzehntes
Kapitel

In dem das Urmel sich als Sänger versucht und mit Obst überschüttet
wird
     
    Das Urmel
hinter der Bühne räusperte sich. Wenn man singen will, muß man eine reine Kehle
haben. Der Vorhang rauschte empor. Er gab den Blick auf eine Dekoration frei,
die aber auch gar nichts mit Aida zu tun haben konnte.
    Das
Urmel bewegte sich einen Schritt auf die Rampe zu.
    Da
stöhnte der Inspizient: »Noch nicht, noch nicht, Herr Kammersänger. Sie treten
doch erst viel später auf!«
    Das
Urmel aber dachte, daß es schon lange genug gewartet habe. Wenn es noch länger
wartete, entdeckte man vielleicht, daß es kein Kammersänger war. Und dann war
es aus mit dem Auftreten.
    »Jetzt
oder nie!« fauchte es den Inspizienten an. Und dieser verlor sofort die Nerven.
Er sah überdeutlich die Katastrophe kommen. Wenig später trugen ihn die
Bühnenarbeiter hinaus, zum Theaterarzt. Eine mildtätige Ohnmacht ersparte ihm
das Schlimmste.
    Die
ersten schrillen Takte rauschten auf. »Der Drache und die Jungfrau« war eine
sehr moderne Oper. Und nun sollte die Jungfrau erscheinen. Sie hielt sich schon
an der anderen Seite der Bühne auf. Aber statt ihrer trippelte das Urmel nach
vorne, ins blendende Scheinwerferlicht. Es faltete die Hände vor der gewölbten
Sängerbrust und riß die Nilpferdschnauze weit auf.
    »Uff«,
stöhnte der Dirigent, in dessen dickem Notenbuch, Partitur genannt, ein ganz
anderer Auftritt verzeichnet stand. Erregt begann er zu blättern, um vielleicht
die richtige Stelle zu finden, um sich mit einem kühnen Satz auch über diese
Änderung hinwegzusetzen. Die Seiten wirbelten nur so.
    Er
fand aber gar keine passende Stelle und entschloß sich, einfach da
weiterzumachen, wo er vorhin aufgehört hatte. Mochte der Sänger sich darauf
einstellen, wie er konnte.
    Die
Musiker geigten, trompeteten und flöteten darauf los, wie es in den Noten
stand. Und das Urmel begann zu schmettern, wie es kein Komponist der Welt
niedergeschrieben hat. »Juhu, holladriho«, jauchzte es. »Das kleine Urmel bin
ich ja, stets lustig, heißa, hopsasa.« So ein ähnliches Lied hatte es von Seele-Fant
einmal gehört.
    Da
legte der Dirigent erschöpft den Taktstock nieder. Dafür wollte er keine
Verantwortung mehr übernehmen. Er stöhnte nur noch: »Das ist ja die Hölle!«,
dann verließen auch ihn — wie den Inspizienten — die Sinne. Später befand er
sich dann ebenfalls in der Behandlung des Theaterarztes.
    Manche
Musiker versuchten verzweifelt, die Vorstellung zu retten und irgendwie
weiterzuspielen. Andere waren so vertieft in ihre Noten, daß sie das Unheil
noch nicht wahrgenommen hatten. Wieder andere ließen einfach die Instrumente
sinken.
    »Ich
kleines Urmel bin bekannt, bei Alten und Jungen im ganzen

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