Urmels toller Traum
auf der Matratze. Ganz lang
streckte es seinen Hals aus und schob den Kopf über den Matratzenrand, bis ihm
die Kante auf die Kehle drückte. Da schluckte es trocken.
Jetzt konnte es besser sehen.
Aber was sah es? Nur das hellgraue rechteckige Viereck des offen stehenden
Fensters. Grau schien es zu sein, weil die Nacht draußen viel heller war als im
finsteren Zimmer. Klar, dort schien ja hinter den Bäumen irgendwo der Mond und
viele tausend Sterne leuchteten hoch oben am Himmel.
Das Urmel fühlte sich sehr
alleine. Wutz war nicht bei ihm, nicht Ping Pinguin, nicht Wawa und auch Babu
nicht. Dabei hätte es so gerne mit irgendjemandem geplaudert, egal mit wem.
»Holla!«, sagte da doch jemand.
Und dieser Jemand hüpfte wie das Kasperle im Theater über das Fensterbrett, als
sei das seine Bühne. Er ließ die Beine herabbaumeln und hatte eine Zipfelmütze
auf dem Kopf.
»Ich hoffe, ich habe dich nicht
erschreckt«, sagte der dunkle Kerl im Fenster. Er sah wirklich wie ein
kohlpechrabenschwarzer Scherenschnitt aus.
»Ach wo«, schnaufte das Urmel
sehr leise. Dabei log es. Denn es hatte sich schon erschrocken.
»Ich habe absichtlich zuvor ein
wenig geraschelt, um dich auf mich aufmerksam zu machen!«, sagte das Wesen auf
der Fensterbank. »Außerdem erhöht das die Spannung.«
»Aha!«, machte das Urmel. »Und
wer bist du? Bis ich das nicht weiß, ist meine Spannung nämlich kaum noch zum
Aushalten. Ich habe dich hier noch nie und auch sonst noch nirgends gesehen.«
»Mag sein«, war die Antwort.
»Dabei habe ich dich schon oft und oft und oft besucht!«
»Wirklich? Davon weiß ich ja
gar nichts.«
»Du hast mich nur noch nicht
bemerkt, denn gewöhnlich erzähle ich dir Geschichten. Viele, wilde, tausende.
Heute bin ich aber selbst gekommen, denn du brauchst mich nicht nur eine Nacht,
sondern viel länger, weil du krank bist und Fieber hast.«
»Ich fühle mich nicht mehr
krank! Wer bist du? Wie heißt du?«
»Ich bin der Traumkobold. Dein
ganz persönlicher Traumkobold. Ich bin in deinen Gedanken, zeige dir Länder,
Völker, Bilder, Landschaften, sause durch die Luft, den Regen, das Meer. Ich
bin hier und bin da. Und dich kann ich mitnehmen.«
»Ich verstehe«, sagte das
Urmel. Aber es tat nur so, eigentlich verstand es nicht viel; vielleicht so
viel, dass es da einen recht lustigen Besuch bekommen hatte. Es dachte
angestrengt nach, und sein Kopf rutschte dabei ganz von der Matratze herab, bis
er auf dem Fußboden lag. Und plötzlich, als sei ein ganz fabelhafter Gedanke
eingeschlagen wie ein Blitz, plötzlich saß es hoch aufgerichtet auf seiner
weichen Unterlage und fragte: »Kannst du zaubern?« Seine Öhrchen drehten sich
spitz hin und her, so begierig war es auf die Antwort.
»Natürlich«, kam es einfach
zurück, als sei dies die einfachste Sache der Welt.
Des Urmels Hals wurde noch
steifer, sein Rücken noch gerader, seine Augen leuchteten noch heller. Sie
sahen jetzt fast aus wie zwei eben angeknipste Taschenlampenbirnen.
»Kannst du machen, dass ich
sehr mächtig werde?«
»Ach«, brummte der Traumkobold,
»das ist für mich so einfach wie für einen tüchtigen Bäcker das Brotbacken. Ich
mache es jede Nacht viele tausend Male.«
»Mach mich mächtig!«, verlangte
das Urmel.
Der Traumkobold rutschte von
der Fensterbank herab und stolzierte durch das Zimmer zum Urmel. Es sah fast
aus, als ob er an Schnüren schwebte wie eine Marionettenfigur. Und als er nun
so vor dem Urmel stand, reichte er ihm ungefähr bis zum Halsansatz. Der
Traumkobold war nicht sehr groß. Nun, das brauchte er vielleicht nicht zu sein.
Jetzt setzte er sich auch noch gemütlich auf den Matratzenrand — wobei er noch
etwas kleiner wurde — , und es schien ihn nicht zu stören, dass das Urmel an
seiner Zipfelmütze schnupperte. Erst jetzt sagte er: »Das musst du mir etwas
genauer erklären. Was möchtest du? Soll ich dich in einen gewaltigen Riesen
verwandeln?«
»Ja, Riese ist gut!«
»Einen Riesen, der die
Felsbrocken mit zwei Fingern knacken kann wie ein Eichhörnchen die Erdnüsse?«
»Das wird mir vielleicht bald
langweilig werden!«
»Oder möchtest du ein
Menschenfresser sein?«
»Mit einem Eisentopf auf dem
Feuer, in dem alle gekocht werden?«
»Du kannst sie ja auch roh
fressen, wenn sie dir so besser schmecken.«
»Ich will überhaupt keine
Menschen oder irgendjemanden fressen. Erstens wird man davon fett, zweitens ist
es zu grausam. Alle würden Angst vor mir haben und vor mir davonlaufen.
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