Urod - Die Quelle (German Edition)
zu hören, wie Thomas beruhigend auf sie einsprach.
„ Wir sollten ihr sagen, dass sie kommen. Vielleicht ist das genau der Anstoß, den sie braucht“, flüsterte Viola Miles zu.
Miles zögerte. Doch auch er kam zu dem Schluss, dass Enza sie sonst alle in Gefahr brachte. Bei dem Tempo würden sie ewig auf sie warten müssen.
„Enza – sie sind auf dem Weg zu uns!“
Obwohl Viola den Satz so behutsam wie möglich aussprach, geriet Enza sofort in Panik. Oder vielleicht genau deswegen. Enza begann zu zappeln und Sebastian hatte eine Heidenarbeit, sie zu halten. Thomas, der die Taschenlampe in Händen hielt, musste ihm zu Hilfe eilen, sonst wäre Enza abgestürzt. Die Taschenlampe schlug mit einem dumpfen Knall auf dem Boden auf und zerbrach. Jetzt hatten sie nur noch eine. Enza musste in völliger Dunkelheit den Abstieg schaffen. Solange sie sich nicht beruhigte, konnte Thomas nicht loslassen und ihr den Weg ausleuchten. Die Dunkelheit machte Enza schwer zu schaffen und sie hampelte wild in ihrem Geschirr herum.
„Enza beruhige dich! Verdammt, wir lassen dich noch fallen, wenn du dich nicht zusammen reißt“, zischte Sebastian.
Seiner Stimme war anzuhören, welche Anstrengung es ihn kostete, Enza zu sichern. Für einen Moment hörte das Gezappel am anderen des Seiles auf und Thomas und Sebastian entspannten sich einen Augenblick.
„Gut gemacht. Und jetzt konzentrier dich einfach auf den Weg. Taste ihn mit den Füßen ab und wenn du Halt findest, geh einfach weiter. Du brauchst nichts zu sehen. Das ist vielleicht sogar besser. Wir halten dich schon fest. Vertrau uns! Aber beweg dich so ruhig wie…“
Sebastian beendete den Satz nicht. Er erstarrte stattdessen. Genau wie Thomas neben ihm.
Sie spürten beide, wie der Boden unter ihnen bebte.
Die Urods hatten ihre Spur aufgenommen und waren auf dem Weg zu ihnen. Wenn Enza jetzt die Nerven verlor oder einer von ihnen, dann wäre es für Sebastian und Thomas gelaufen. Und vielleicht auch für Enza.
„Mach, dass du da runter kommst!“ raunte Sebastian Thomas zu.
„Wir gehen zusammen runter oder gar nicht!“ Thomas' Antwort kam ohne Zögern. „Du musst hier nicht den Helden spielen.“
„Hör zu, du Idiot, ich werd's schon schaffen. Der Punkt ist nur, dass, falls nicht, sie mit dir eine bessere Überlebenschance hat.“
Sebastian benutzte den Singular und Thomas musste nicht fragen, wen er damit meinte. Und damit hatte er Thomas. Er wollte, ja er musste bei Viola sein. Auch wenn er seinen Freund nicht alleine lassen wollte, so war ihm die Frau seines Lebens einfach wichtiger. Und das Baby. Seines oder Sebastians. Egal. Es war Violas und es musste leben. Wieder schoss ihm durch den Kopf, dass Sebastian Bescheid wusste über ihn und Viola. Und er liebte diese Frau so sehr, dass er sie lieber seinem besten Freund überließ und selbst das Risiko einging, zu sterben, als sie in Gefahr zu bringen. In diesem Moment war Thomas nicht sicher, ob er an Sebastians Stelle genau so gehandelt hätte. Der Gedanke, dass Sebastian Viola noch mehr liebte als er selbst, überwältigte ihn für einen Moment und tiefe Traurigkeit ergriff ihn.
„Versprich, dass du so schnell hinterher kommst, wie du kannst. Versprich mir, dass du es schaffst!" bat er Sebastian aus tiefstem Herzen und es war mehr eine Liebeserklärung, denn eine Bitte.
„Mach ich!" sagte Sebastian kurz und vermied es seinen Freund dabei anzusehen.
„Kannst du Enza überhaupt alleine halten?“ fragte Thomas, um Zeit zu schinden. Er brachte es einfach nicht über sich, Sebastian hier alleine zu lassen.
„ Ja, na klar. Die ist doch 'n Leichtgewicht.“
Dieses Mal sah er Thomas in die Augen und die beiden mussten für einen Moment grinsen. Ein Grinsen, das nicht dem Witz von Sebastian galt, sondern eine Demonstration von Stärke und Zutrauen sein sollte. Sie versicherten sich ihrer Komplizenschaft, ihrer Freundschaft und der Tatsache, dass sie miteinander im Reinen waren. Was immer als nächstes geschehen sollte.
Die Boden unter ihnen dröhnte. Sie würden bald da sein.
„Jetzt geh schon! Die andere Taschenlampe muss hier irgendwo neben mir liegen.“
Thomas ließ das Seil los, an dem Enza hing und Sebastian stöhnte augenblicklich auf. Thomas versuchte das zu ignorieren und suchte in der Dunkelheit nach der Taschenlampe. Mit fliegenden Fingern tastete er vorsichtig den Boden ab. Sie durfte nicht auch noch kaputt gehen. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, dann hielt er sie in Händen und schaltete
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