Urod - Die Quelle (German Edition)
umgeschnallt. Ihr Entschlossenheit war ansteckend, doch Enza bewegte sich nur langsam auf Thomas zu, der ihr seine Geschirr entgegen streckte und darauf wartete, ihr beim Anlegen zu helfen.
„Wenn du nicht 'n bisschen Gas gibst, schubse ich dich runter, klar!“ blaffte Sebastian.
„Sie hat Schiss!“ murmelte Miles leise aus dem Hintergrund.
Und genau das war es. Enza hatte Angst abzustürzen. Sie war wegen ihres geschienten Arms schon kaum auf den Felsen hinauf gekommen. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie sie es schaffen sollte, nun dort hinunter zu klettern. Ihre Angst war so groß, dass sie eher bereit war, als Letzte zu gehen und den Kampf mit den Urods aufzunehmen, wenn es denn sein sollte.
„Stimmt das?“ rief Thomas ihr zu.
Enza nickte kurz. Miles drängte sich an ihr vorbei.
„Ich gehe zuerst. Du guckst mir genau zu und machst dann alles so wie ich. Würde das helfen?“
Enza zuckte die Achseln.
„ Vielleicht. Versuchen wir's.“
Miles hatte sich den Gurt mit Thomas' Hilfe in wenigen Sekunden umgeschnallt. Viola wartete bereits am Abgrund. Sie zögerte kein bisschen. Sie haderte nicht. Sie wusste, dass sie und das Baby überleben würden. Eine andere Option gab es nicht. Sebastian kam zu ihr und drückte sie fest an sich. Sie erwiderte seine Umarmung. Eine Kaskade überwältigender Zärtlichkeit und Liebe für ihn durchströmte sie. Als er sie wieder los ließ, hatte sie für einen Moment das Gefühl, in den Abgrund zu stürzen.
„ Ich liebe dich", murmelte Sebastian ihr ins Ohr.
„ Ich dich auch", erwiderte Viola und wunderte sich, wie aufrichtig sie es meinte. „Ich warte unten auf dich."
Sebastian trat zurück und sah zu Miles, der mittlerweile fertig war. Ohne zu zögern begann Viola mit dem Abstieg. Sie warf Thomas einen letzten Blick zu, konnte sein Gesicht in der Dunkelheit aber nicht erkennen. Und auch das Ende des Abgrunds war nicht zu sehen. Enza leuchtete den beiden den Weg aus. Der Strahl der Taschenlampe zitterte. Viola kletterte schnell. Sie wusste, dass Sebastian sie halten würde, egal was kommen mochte. Mit vollkommener Sicherheit tat sie einen Schritt nach dem anderen. Miles neben ihr hatte Schwierigkeiten, Halt zu finden, aber Viola gelang der Abstieg wie im Schlaf. Der Felsen schien ihr einen Weg geebnet zu haben. Er war auf ihrer Seite. Nicht lange und sie fühlte festen Boden unter ihren Füßen. Da Miles noch etwa ein Viertel vor sich hatte, leuchtete Enza ihm den Weg aus so gut sie konnte. Viola schnallte sich ab und rief Sebastian zu, er könne den Gurt nach oben ziehen. Die ganze Aktion hatte nur wenige Minuten gedauert. Das war gut. Doch plötzlich befiel Viola ein seltsames Gefühl. Es dauerte eine Weile, bis sie herausgefunden hatte, was sie störte.
Es war die Stille.
Die Urods hatten aufgehört zu schreien.
Sie würden kommen.
„Beeil dich, Miles! Na, los!“ rief Viola nach oben und Miles schlingerte sofort hin und her.
„Verdammte Hacke!“ entfuhr es ihm, aber er kletterte schneller nach unten und hatte es fast geschafft.
„Sag Enza, sie soll sich beeilen!“ schrie Viola nach oben zu Sebastian.
„Ganz ruhig!“, mahnte Thomas.
Viola wurde klar, dass die anderen es noch nicht bemerkt hatten. Sie hatten die Stille nicht bemerkt.
Viola sah nach oben. Im grellen Lichtschein der Taschenlampe konnte sie erkennen, dass Enza sich den Gurt anlegte. Doch immer noch erschien sie zögerlich. Wertvolle Sekunden verstrichen. Sekunden, die Leben oder Tod bedeuten konnten. Neben ihr hatte Miles sich von dem Geschirr befreit und rief Thomas zu, er könne es hochziehen. All das schien ewig zu dauern. Viola verkrampfte sich vor Anspannung. Sie wollte niemanden in Panik versetzen, doch gleichzeitig wusste sie, dass sie Enza einen Stoß versetzen müsste, damit sie ihren Zeitvorsprung wahren konnten. Miles spürte Violas Nervosität und sah sie prüfend an.
„Ich weiß, dass es schwer ist, aber wir müssen Ruhe bewahren. Je hektischer wir werden, desto langsamer sind wir.“
Jetzt platzte Viola der Kragen.
„Hörst du's denn nicht?“
„Was? Nein, ich höre nichts“, entgegnete Miles.
Viola sah ihn nur an. Und dann fiel auch bei Miles der Groschen.
„Sie haben aufgehört zu schreien.“
Viola nickte stumm.
„Sie werden nicht lange brauchen, um uns zu finden. Und hier drin haben wir keine Chance.“
Er wandte seinen Blick nach oben. Enza kletterte mittlerweile zwar nach unten, hatte aber allenfalls einen Meter hinter sich gebracht. Von oben war
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