Urod - Die Quelle (German Edition)
Das ist 'ne ganz schöne Strecke. Außerdem müssen wir danach noch eine ganze Weile laufen, was mit nassen Klamotten ’ne ziemliche Scheiße werden kann. Und zweitens ist der See arschkalt und ich habe keine Ahnung, ob die Urods schwimmen können. Also…“
Thomas verstand Miles' Bedenken. Und trotzdem hatte er neue, frische Hoffnung geschöpft. Sie hatten eine ganz realistische Chance, den Bastarden zu entkommen. Auch Violas Augen leuchteten.
„Worauf warten wir?“ sagte sie schlicht.
Miles suchte die Umgebung mit den Augen ab.
„Drago war der einzige, der den See einigermaßen gekannt hat. Er ist auch mal rüber geschwommen. Aber da war er schon… Da hatte seine Verwandlung schon eingesetzt und ihr habt ja gesehen, wie stark er war. Ich weiß nicht, ob…“
Er brach ab und sein Blick streifte Viola, bevor er ihn wieder umherschweifen ließ. Auch Thomas sah sie besorgt an. Plötzlich erschien sie ihm noch viel zierlicher und zerbrechlicher als sonst. Wie sollte sie, nach all dem, was sie schon erlebt hatten, noch die Kraft aufbringen, einen eiskalten See zu durchqueren. Und was würde das für das Baby bedeuten, das sich doch gerade erst in einen Menschen verwandelte?
Viola wusste, was die beiden dachten. Doch anstelle von Zweifel und Besorgnis, regten sich Trotz und Zorn in ihr. Sie funkelte Miles und Thomas an.
„Ich war schon in der Schule immer die beste Schwimmerin und habe die meisten Jungs aus meiner Klasse hinter mir gelassen. Außerdem kenne ich kaum eine bessere Motivation als die, dass mein Leben in Gefahr ist und ich, falls ich es nicht schaffe, gefressen werde. Was haben wir schon zu verlieren? Wenn wir es nicht versuchen, gehen wir auf jeden Fall drauf. Und, ganz ehrlich, ich ertrinke lieber, als die Urods dabei zu beobachten, wie sie mit euren abgetrennten Köpfen... Lassen wir das! Ich habe echt keinen Bock, das jedes Mal zu diskutieren. Miles, erklär' uns einfach, wie wir zum See kommen und lasst uns endlich loslegen.“
Violas klare Haltung überzeugte Miles und er entschloss sich, Thomas’ nach wie vor besorgtes Gesicht zu ignorieren.
„Wir müssen hinten um das Camp herumgehen und weiter zu den Gräbern, die ihr gefunden habt. Dann sind es etwa noch anderthalb Kilometer bis zum See. Wenn wir den durchschwommen haben, müssen wir auf der anderen Seite vielleicht zwei Kilometer laufen, bis wir am Transporter sind.“
Violas Gesicht blieb vollkommen reglos. Sie hatte ihre Fäuste geballt und blickte in die Richtung, in die Miles während seiner Erklärung gezeigt hatte. Alles wirkte ruhig. Aber sie wussten, dass die Urods sich erstaunlich leise bewegen konnten, wenn sie wollten.
„ Das heißt, wie müssen im Grunde einfach nur am Felsen entlang laufen?“ fragte Thomas.
„Ja. Ich kann nur hoffen, dass sich keiner von ihnen mehr in der Nähe der Quelle aufhält, denn dann würden sie uns auf jeden Fall sehen“, erwiderte Miles.
„Warum sollten sie das tun? Wenn sie wirklich so schlau sind, wie du glaubst, Miles, dann haben sie eingesehen, dass sie da nichts weiter tun können. Die Frage ist, ob sie sich aufgeteilt und einen von ihnen da gelassen haben, wie damals nach Dragos Tod“, sagte Viola.
Hinter ihnen aus dem Felsen war kein Laut zu hören. Doch niemand machte den Vorschlag, noch eine Weile zu bleiben, um auf Enza und Sebastian zu warten. Was immer dort drinnen geschehen war, es schien vorbei zu sein. Und da keiner der beiden bis jetzt bei ihnen aufgetaucht war, ließ das nur einen Schluss zu. Aber mit derlei Gedanken mussten sie sich auseinander setzen, wenn sie in Sicherheit waren. Oder besser – falls. Falls sie jemals wieder in Sicherheit sein würden. Lebend. Außer Gefahr. Ein Zustand, der so paradiesisch klang, dass er nahezu absurd erschien.
„Ich weiß nicht, wie sehr sie die Sache mit der Quelle durcheinander gebracht hat. Aber falls sie sich getrennt haben, kann das auch gut für uns sein. Zu dritt können wir so ein Ding erledigen. Ein ganzes Rudel schaffen wir nicht.“
Thomas griff nach Violas Arm.
„Gut, dann gehen wir jetzt lieber los, bevor die da drin den Weg gefunden haben, den wir gerade gekommen sind.“
Viola war erstaunt, wie ruhig und vernünftig sie alle drei waren. Wie sie Pläne schmieden konnten, sich sogar die Zeit nahmen, stehen zu bleiben und zu überlegen, was nun das Beste wäre. Sie hätte das niemals für möglich gehalten. Pure Hysterie hätte sie allein beim Anhören einer solchen Geschichte ergriffen. So wie während
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