Urod - Die Quelle (German Edition)
zurück. Augenblicklich wurde Thomas` Gesichtsausdruck weicher. Was konnte das arme Ding schon dafür, dass er die Frau nicht haben durfte, die er haben wollte. Er sah verwundert auf das Messer, das sie in der Hand hielt. Sie blickte nun ebenfalls darauf, als hätte sie völlig vergessen, warum sie es mitgebracht hatte. Hastig legte sie es auf das Fensterbrett neben der Tür.
„ Wolltest du dir was zu essen holen?“ Er wartete ihre Antwort nicht ab. „Da oben auf dem Regal stehen noch jede Menge Ravioli. Bulgarische wohlgemerkt. Ich hab’ sie probiert. Ekelhaft!“
Lea machte eine vage Geste, die alles mögliche bedeuten konnte. Sie überlegte fieberhaft, wie sie Thomas in ein Gespräch verwickeln könnte. Um Zeit zu schinden schlenderte sie zum Regal herüber und reckte sich in die Höhe, um sich eine der Konservendosen zu angeln. Sie kam nicht dran. Sie war einfach zu klein.
„ Kannst du mir kurz helfen?“
Doch Thomas hatte sich bereits vom Tisch geschwungen und stand hinter ihr. Sehr nah hinter ihr. Im ersten Moment hielt sie die Luft an. Seine plötzliche Nähe war wie ein Schock für sie. Als er seinen Arm ausstreckte, um ihr die Dose zu reichen, berührte er sie unwillkürlich. Sie sog seinen herben Schweißgeruch ein und nahm schwache Spuren seines Aftershaves wahr, das sie in der Uni schon immer nervös gemacht hatte. Ein Duftgemisch aus getrocknetem Holz, Zitrone, Lakritz und Meerwasser. Sie schloss für eine Sekunde die Augen. Die Sehnsucht, Thomas für immer so nahe zu sein, überwältigte sie und blendete für einen Moment alles andere um sie herum aus. Als er ihr die Dose Ravioli hinhielt, reagierte sie zunächst nicht, bis er laut ihren Namen aussprach. Erst da griff Lea zu und bedankte sich mit belegter Stimme. Er zuckte nur die Achseln.
„ Kein Thema.“
Thomas hockte sich wieder auf den Tisch und schnappte sich ein Buch, das er aufschlug, und darin blätterte, auf der Suche nach der richtigen Seite. Lea konnte den Titel des Buches erspähen. Es war "Lolita" von Vladimir Nabokov. Sie verfluchte sich, dass sie es nie gelesen hatte. Es wäre ein wunderbares Thema für Small-Talk gewesen. Stattdessen nahm sie jetzt ihre Brille ab und putzte sie umständlich, um Zeit zu schinden.
„Du kannst bei uns drüben übernachten, wenn du willst. Wir haben richtige Betten und Matratzen. Die haben zwar nicht gerade 1a Qualität, aber immer noch besser als der harte Tisch hier. Und bei uns kann man die Tür verriegeln.“
Thomas sah kaum von seinem Roman auf. Er hatte offenbar keine Lust auf Gesellschaft.
„ Ist schon ok. Ich kann echt überall schlafen.“
Lea wischte weiter an ihrer Brille herum.
„ Ob Viola und die anderen wohl schon schlafen?“ fragte sie und ärgerte sich, dass ihr nichts Intelligenteres einfiel.
Er zuckte mit den Achseln. Aber Lea hatte das Verlangen in seinen Augen bemerkt, das sofort aufblitzte, als sie Violas Namen genannt hatte. Es gab ihr einen gehörigen Stich. Er liebte diese Frau über alles. Das sah sogar ein Blinder. Außer Sebastian vielleicht. Warum zum Teufel konnte er sie nicht so ansehen? Dabei würde sie einfach alles tun, um ihn glücklich machen. Wahrscheinlich war genau das der Grund für sein Desinteresse.
Thomas wandte seinen Blick wieder auf die Seiten des Buches. So schnell wollte Lea nicht aufgeben.
„ Kannst du mir eine Kippe geben?“
Er schmiss ihr seine Packung Zigaretten zu.
„ Bedien dich!“
Sie nahm sich eine Zigarette und sah sich nach einem Feuerzeug um. Fand aber keines.
„ Hast du auch irgendwo Feuer?“
Mit einem kaum hörbaren Seufzer legte er das Buch weg. Lea würde sich nicht so leicht abwimmeln lassen. Sie war hartnäckig. Während er nach dem Feuerzeug suchte, dachte er, dass er wohl sowieso nicht werde schlafen können. Warum sollte er sich also nicht eine Weile mit Lea unterhalten. Als er ihr Feuer gab, verriet ihm die Art, wie sie seine Hand mit der ihren festhielt plötzlich, dass sie an mehr als nur einer Unterhaltung mit ihm interessiert war. Neugierig sah er sie an. Konnte es sein, dass er das bisher einfach nur nicht bemerkt hatte? Natürlich konnte es sein. Er hatte in all der Zeit nur Augen für Viola gehabt. Lea war ihm kaum aufgefallen. Er betrachtete sie aufmerksam. Als Frau nicht als Studienkollegin. Sie inhalierte den Rauch der Zigarette tief und ließ ihn dann sanft aus ihrem Mund gleiten. Ihre Brille hatte sie abgelegt. Wenn sie still stand und den Mund hielt, war sie eigentlich eine hübsche Frau. Ihre
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