Urod - Die Quelle (German Edition)
sehen war. Er lag auf einer Bahre und war wie ein Puzzle zusammengesetzt worden. Ein Puzzle, bei dem ein paar Teile fehlten. Es handelte sich offensichtlich um Fotos einer Obduktion. Die präzise wissenschaftliche Nüchternheit, mit der die Aufnahmen gemacht worden waren, stand in krassem Kontrast zu der unerträglichen Grausamkeit dessen, was sie abbildeten. Thomas war verwirrt. Sein Geist weigerte sich, überhaupt anzunehmen, was seine Augen doch mit aller Deutlichkeit sahen. Er konnte es nicht in einen Zusammenhang bringen. Was hatten die Fotos hier zu suchen? Was bedeuteten sie?
Ein leises Geräusch ließ ihn aufblicken. Vor ihm stand Enza und sah ihn mit wutverzerrtem Gesicht an. Dann holte sie mit einem schweren Holzscheit aus und schlug ihm die Bilder aus der Hand. Thomas schrie auf vor Schmerz.
„ Was hast du Arschloch mit meinen Fotos zu schaffen?“ bellte sie und holte erneut zum Schlag aus.
Thomas duckte sich weg, rutschte dabei aus und landete im Schlamm. Im letzten Moment konnte er aufspringen und sich zur Seite wegducken, sonst hätte ihn Enzas nächste Attacke erwischt. Die Wucht ihres Schlages riss sie selbst mit, sodass sie ins Schwanken geriet. Thomas nutzte die Gelegenheit, um ihr den Scheit aus der Hand zu zerren und ins Gebüsch zu schmeißen. Nun seinerseits wütend.
„ Die Fotos lagen hier rum, verdammt! Ich hab’ sie nur aufgehoben, sonst nichts. Und jetzt beruhige dich gefälligst, du arme Irre!“ brüllte er.
In dem Moment entdeckte Enza die Cremedose auf dem Boden. Nun wurde ihr alles klar.
„ Lea! Wo ist das Miststück? Die kann sich auf was gefasst machen!“
Enza sammelte hastig die auf dem Boden liegenden, triefenden Fotos auf. Thomas sah dabei zu, ohne ihr zur Hand zu gehen.
„ Bevor du Lea kreuzigst, erklär mir doch mal bitte, was diese Fotos hier bedeuten. Und erzähl mir jetzt nicht, dass du außer Hobby-Archäologin, auch noch Hobby-Pathologin bist.“
„ Was geht es dich an?“ erwiderte Enza barsch.
„ Oh, das geht mich sehr wohl was an. Wie du ja schon bemerkt hast, ist dieses ganze Praktikum hier, wie soll ich es ausdrücken, ähm, äußerst seltsam. Und ich habe langsam den Eindruck, dass du mehr darüber weißt, als du zugeben willst.“
Er unterbrach sich, als er Viola und Sebastian aus ihrer Baracke kommen sah und winkte sie herbei. Sebastian trabte sofort los, während Viola sich Zeit ließ.
„ Was liegt an?“ fragte Sebastian neugierig und starrte auf die beschmierten Fotos in Enzas Hand.
„ Unsere Enza hier steht auf Grusel-Fotos. Dagegen ist Maplethorpe der reinste Monet.“
„ Das ist ja wohl meine Privatsache.“
„ Normalerweise schon. Aber unter diesen Umständen nicht. Tut mir leid, aber entweder du hast ’ne einleuchtende Erklärung für den kranken Scheiß, der da abgebildet ist, oder…“
Enza verschränkte die Arme.
„ Oder was?“
Viola war mittlerweile zu ihnen gestoßen und sah Enza interessiert an. Sebastian hingegen verlor sofort die Geduld.
„ Mein Gott, Thomas, du sprichst in Rätseln. Könnt ihr beide mich jetzt bitte mal aufklären, was hier eigentlich los ist?“
Enza rührte sich nicht, stattdessen starrte sie Thomas angriffslustig an.
„ Zeig ihm die Fotos!“ befahl Thomas Enza.
Die dachte nicht daran.
„ Verpiss dich!“
„ Zeig sie ihm, oder ich erledige das!“
„ Das wagst du nicht!“ fuhr Enza ihn an.
Thomas machte einen Schritt auf sie zu.
„ Versuch’s doch!“ giftete sie, machte aber unwillkürlich einen Schritt zurück.
Viola stellte sich zwischen Enza und Thomas.
„ Jetzt hört schon auf ihr zwei. Das bringt doch nichts!“
Sie hatte zu Thomas gesprochen, wandte sich jetzt aber an Enza. „Du musst es uns sagen, falls du irgendwas weißt. Wenn das, was auf den Fotos ist, deine Privatsache ist, dann lassen wir dich in Ruhe. Aber falls nicht… Ich meine, wenn uns hier aus irgendeinem Grund Gefahr droht, dann will ich das wissen. Das verstehst du doch sicher.“
Enza zögerte. Sie wusste, dass Viola recht hatte. Dennoch kam ihr kaum über die Lippen, was die anderen wissen wollten.
„ Sie hat Fotos von ’ner Leiche dabei. Horror-Fotos. Echt perverses Zeug“, platzte es aus Thomas heraus.
Jetzt konnte Sebastian seine Neugier nicht mehr zügeln. Er versuchte Enza die Fotos aus der Hand zu reißen. Aber Enza war schneller. Sie verbarg die Bilder hinter ihrem Rücken.
„ Ist ja gut, schon gut. Ich erzähle euch alles“, rief sie.
Die anderen drei sahen sie erwartungsvoll
Weitere Kostenlose Bücher