Uschi Zietsch
eine Erholungspause hatte, hatte die Erschöpfung sie übermannt. Er wunderte sich nicht darüber. Er selbst war an solche Abenteuer seit Jahrzehnten gewöhnt, sie hatten ihn abgehärtet, aber für das junge Mädchen war es das erste Mal. Gorwyna hatte allerdings ausreichend bewiesen, was in ihr steckte, nun durfte sie Pflege für sich beanspruchen. Kelric sammelte Kräuter, bereitete eine Medizin zu, die er ihr behutsam einflößte, wickelte sie in die beiden Decken, die sie noch besaßen, und legte sie nahe ans Feuer, als der Schüttelfrost ihren geschwächten Körper umherwarf.
Sie verschlief die Nacht, den gesamten nächsten Tag und noch eine Nacht. Am darauffolgenden Morgen kam Gorwyna klar und gesund zu sich. Ihr Erstaunen war groß, als sie Kelric neben sich spürte, der tief schlief. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann er zu ihr gekommen war und ihren von Hitze und Kälte geschüttelten Körper gewärmt und gehalten hatte; daher konnte sie es kaum fassen, so dicht an seinem nackten Leib zu liegen, die warme, straffe Haut und die harten Muskeln zu fühlen. Sie beugte sich über ihn und betrachtete zärtlich sein stilles abgemagertes Gesicht, in das sich die Spuren tiefer Erschöpfung eingegraben hatten; dann streckte sie vorsichtig die Hand aus und begann seine unbedeckte Brust zu streicheln. Er erwachte sofort und hielt ihre Hand fest.
»Ist es dir unangenehm?«, fragte sie erschrocken.
»Ja«, antwortete er. »Ich bin keine Berührungen gewöhnt. Wie geht es dir?«
»Gut, Kelric. Ich bin gesund.«
Er lächelte. »Du siehst sehr schön aus«, sagte er sanft und strich über ihr Gesicht. »Ich könnte dich immer nur ansehen.«
Sie ergriff seine Hand und küsste sie. »Du darfst mich nie fortschicken«, flüsterte sie.
Er schwieg. Sein Gesicht war so ernst und nachdenklich, dass sie Angst bekam; aber er wehrte sich nicht, als sie sich an ihn schmiegte und schüchtern erneut seine glatte Brust berührte.
Sie musste dann wieder eingeschlafen sein, denn als sie das nächste Mal die Augen öffnete, war auf einmal die Sonne ein Stück höher geklettert, und Kelric saß am Feuer und nahm ein frisch erlegtes Kawari aus. Plötzlich krümmte er sich und erzitterte in einem rasselnden Hustenanfall; er fiel keuchend vornüber auf die Hände und rang nach Luft. Da begriff sie, dass innerlich etwas in ihm zerbrochen war in dem Kampf mit dem Ghûlen, und voller Schrecken wickelte sie sich aus den Decken und lief, nackt wie sie war, zu ihm.
»Kelric, was hast du? Was kann ich tun?«, rief sie ängstlich, kniete sich neben ihn und stützte ihn, während er Blut spuckte.
Der Anfall ging schließlich vorüber, und er setzte sich aufrecht hin.
»Da merkt man doch das Alter«, sagte er kopfschüttelnd. »Früher hätten mir ein paar gebrochene Rippen nicht das geringste ausgemacht.«
»Du hast gebrochene Rippen?«, schrie sie auf. »Warum hast du das nicht längst gesagt, bei den Hauern der Riesensau?« Sie hätte ihm gern etwas Derberes an den Kopf geworfen, aber es fiel ihr in der Aufregung nichts ein.
Er bedachte sie mit einem langen Blick, der zum ersten Mal den großen Altersunterschied zwischen ihnen deutlich machte, denn es lag keine Jugend in dem Blau der Augen, sondern Weisheit und Abgeklärtheit. Fremd und fern erschien er ihr, weiter weg als je zuvor, selbst bei der ersten Begegnung, sie konnte nicht einmal mehr seine Gedanken spüren, und sie bekam Angst um ihre Liebe.
»Es war nicht wichtig«, sagte er schließlich. »Ich habe dem Tod ein Schnippchen geschlagen, Gorwyna, und dafür will er sich nun an mir rächen. Ich weiß nicht genau, was los ist mit mir. Ich weiß nur, dass ich nicht mehr der Jüngste bin. Anscheinend habe ich diesen Beweis gebraucht, um endlich vernünftig zu werden.«
Sie schlug die Augen nieder. »Das bedeutet also das Ende«, sagte sie leise. Als er nicht antwortete, stand sie still auf, raffte ihre Sachen zusammen und verließ ihn.
Gorwyna lief etwa zwei Stunden ziellos durch die Gegend, ohne einen klaren Gedanken oder einen Entschluss fassen zu können; sie wurde nur immer unglücklicher, je mehr sie begriff, dass Kelric ihr trotz seiner Liebeserklärung nicht so nahe kommen wollte oder konnte, wie sie es sich wünschte. Ihre Beziehung war keineswegs leichter geworden, eher ... zwiespältiger. Was hatte sie sich auch dabei gedacht? Kelric war so viel älter als sie, ein Zauberer, kaum mehr ein Mensch nach all dem, was ihm angetan worden war. Sein jahrzehntelanger
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